Verborgenes Reservoir: Forscher haben herausgefunden, warum ausgerechnet die Arktis so stark mit Quecksilber belastet ist. Das giftige Schwermetall gelangt nicht über Regen oder Schnee dorthin, sondern wird von den Pflanzen der Tundra direkt aus der Luft aufgenommen und angereichert. Dadurch enthalten die Permafrostböden inzwischen eine enorme Menge Quecksilber, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ berichten. Der Klimawandel könnte diese Giftstoffe verstärkt freisetzen.
Quecksilber ist bekanntermaßen hochgiftig: Es blockiert Enzyme, schädigt das Nervensystem und führt durch schleichende Anreicherung zu schweren Gesundheitsschäden. Umso besorgniserregender ist es, dass dieses Schwermetall immer häufiger in der Umwelt vorkommt. Der Grund dafür sind neben natürlichen Quellen vor allem anthropogene Emissionen – unter anderem aus Kohlekraftwerken, Waldbränden, Müllfeuern oder der Zementproduktion. Als Folge reichert sich Quecksilber vor allem in Fischen, Meeressäugern und anderen Bewohner der Ozeane an.
Wie kommt das Quecksilber in die Arktis?
Das Seltsame daran: Die höchsten Quecksilberwerte finden sich ausgerechnet in der Arktis – einer Region, die tausende von Kilometern von den Emissionsquellen des Schwermetalls entfernt liegt. Theoretisch könnte das Quecksilber über die obere Atmosphäre dorthin transportiert werden und dann mit Schnee oder Regen zu Boden gehen. Doch in Proben dieser Niederschläge fand man nur extrem geringe Quecksilberwerte.
Wie das Quecksilber in den hohen Norden gelangt, blieb daher rätselhaft – bis jetzt. Denn Daniel Obrist von der University of Massachusetts in Lowell und seine Kollegen haben nun das Geheimnis des arktischen Quecksilber-Transports gelüftet. In einer groß angelegten Fahndung führten sie zwei Jahre lang Feldstudien in der Tundra Alaskas durch. Dort analysierten sie die Quecksilbergehalte und -isotope in Boden, Luft, Pflanzen und Gewässern während der verschiedenen Jahreszeiten.
Pflanzen als Schwermetall-Fänger
Das überraschende Ergebnis: Die Pflanzen der Tundra sind die reinsten Quecksilber-Sammler. Während ihres Wachstums nehmen sie große Mengen gasförmigen Quecksilbers aus der Luft auf. Im Laufe der Zeit reichert sich dadurch das Schwermetall in ihren Geweben an und gelangt dann mit abgestorbenem Pflanzenmaterial in die Böden, wie die Forscher herausfanden.
Die Folge: „Dieser Ablagerungsprozess führt zu unerwartet hohen Quecksilberwerten in diesen entlegenen Tundrenböden“, berichten Obrist und seine Kollegen. In der organischen Schicht oberhalb des Permafrosts ermittelten sie Werte von im Mittel 138 Mikrogramm pro Kilogramm Boden. „Das übertrifft die für Böden in den Tropen und gemäßigten Breiten gängigen Werte von 20 bis 50 Mikrogramm pro Kilogramm um das Mehrfache.“
Gewaltiges Reservoir
Das aber bedeutet: Die Tundrenvegetation und die Böden der Arktis bilden ein enormes Reservoir an giftigem Quecksilber. Rechnet man die Werte aus Alaska auf die gesamte Arktis hoch, dann könnten die Böden im hohen Norden 143 Millionen Kilogramm Quecksilber enthalten. „Das entspricht einem Drittel bis der Hälfte der gesamten globalen Quecksilberbelastung aller Böden“, erklären die Forscher.
Dieses Quecksilber-Reservoir erklärt auch, woher die hohe Belastung der arktischen Gewässer und Meere kommt: Mit dem schmelzenden Eis im Frühjahr und Sommer wird das Quecksilber aus den Böden ausgewaschen und gelangt über die Flüsse ins Nordpolarmeer. „Die Hälfte bis zwei Drittel des gesamten Quecksilbereintrags in den arktischen Ozean lassen sich damit erklären“, sagt Obrist.
Quecksilberschwemme durch den Klimawandel?
Die schiere Menge des Quecksilbers, das sich inzwischen in den arktischen Böden angereichert hat, ist nicht nur unerwartet, sie weckt auch Besorgnis. Denn der Klimawandel führt in kaum einer anderen Region der Erde zu einer so dramatischen Erwärmung wie in der Arktis. Das aber bedeutet, das auch die Permafrostböden immer weiter auftauen.
Dadurch könnten die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten im Dauerfrost gefangenen Schwermetalle künftig vermehrt freiwerden, wie die Forscher erklären. Als Folge würde die Belastung der Arktis und seiner Bewohner mit Quecksilber sogar noch weiter steigen. Für Wale, Eisbären, Fische und Meeresvögel wäre dies fatal. Und auch die Inuit, die sich häufig noch von der Jagd und dem Fischfang ernähren, wären dann erhöhten Belastungen ausgesetzt.
Neue UN-Konvention ab August
Umso wichtiger ist es, wenigstens die weiteren anthropogenen Quecksilber-Emissionen einzuschränken. Genau dies soll die Minamata-Konvention erreichen, die am 16. August 2017 in Kraft tritt. Das völkerrechtliche Übereinkommen sieht unter anderem vor, dass bestimmte quecksilberhaltige Produkte ab 2020 verboten oder stark eingeschränkt werden. Zudem sollen strengere Vorschriften für Kraftwerke, die Goldgewinnung und andere Emissionsquellen gelten.
Das Minamata-Übereinkommen wurde bisher von 128 Staaten unterzeichnet, 52 haben es ratifiziert, darunter auch die EU. Deutschland gehört zwar zu den Unterzeichnern, hat das Abkommen aber bisher nicht ratifiziert. Ab dem 16. Juli 2017 findet in den USA die International Conference on Mercury statt, die größte wissenschaftliche Konferenz zum Thema Quecksilber-Verschmutzung. Obrist und seine Kollegen werden ihre Ergebnisse auch dort noch einmal vorstellen. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature22997)
(University of Massachusetts/ CNRS, 14.07.2017 – NPO)