Überraschende Entdeckung: Auf einigen bisher unbeachteten Fragmenten der Schriftrollen vom Toten Meer haben Archäologen jetzt verborgene Textpassagen entdeckt. Erst modernste Analysetechnik enthüllte die hebräischen Buchstaben auf den vermeintlich leeren Pergamentschnipseln. Ein Textfragment könnte sogar auf die Existenz einer noch unbekannten Schriftrolle hindeuten, andere geben neue Einblicke in bekannte Manuskripte, so die Forscher.
Sie sind die wahrscheinlich berühmtesten Schriftrollen der Welt: Vor 70 Jahren entdeckten Beduinen in einer der Höhlen von Qumran am Toten Meer Tonkrüge, in denen zahlreiche Schriftrollen und Pergamentfragmente lagen. Nähere Untersuchungen ergaben, dass die Schriftrollen aus der Zeit von 250 vor bis 50 nach Christus stammen und Texte aus dem Alten Testament sowie biblische Kommentare enthalten – einzigartige Dokumente des jüdischen Glaubenslebens zur Zeit der Urchristen.
In Zigarrenkästchen verwahrt – und vergessen
Doch längst nicht alle in Qumran gefundenen Pergamentfragmente sind bisher analysiert und entziffert. Einige wurden von den Archäologen der 1950er Jahre in Zigarrenkästchen verstaut, in die klimatisierten Lagerräume der israelischen Antikenbehörde gebracht – und dann vergessen. Denn im Vergleich zu besser erhaltenen und größeren Teilen der Schriftrollen galten diese Fragmente als wenig vielversprechend: Einige waren zerknickt, andere aus mehreren Schichten verklebt und Text konnte man auch nicht erkennen.
„Diese Fragmente sind nie gereinigt oder behandelt worden – sie blieben in dem Zustand, in dem sie einst gefunden wurden“, sagt Oren Ableman von der israelischen Antikenbehörde. 82 dieser vergessenen Schriftrollen-Fragmente haben er und seine Kollegen jetzt untersucht – diesmal mit modernsten Methoden. Sie unterzogen die fragilen, meist nur einen Zentimeter kleinen Schnipsel einer Multispektral-Analyse und analysierten sie mit einem Infrarotmikroskop sowie einer Multispektral-Analyse.
„Buchstaben traten zutage“
„Schon auf dem ersten Fragment sah ich einen Buchstaben zutage treten“, berichtet Ableman. „Da wusste ich, dass hier etwas zu finden ist – eine aufregende Erkenntnis.“ Wie sich herausstellte, verbarg sich unter der schwärzlichen, scheinbar unbeschriebenen Oberfläche gleich mehrerer Pergamentstückchen hebräischer Text.
Teilweise ist auf den Fragmenten nur ein Wort erhalten, auf anderen Fragmenten wurden ganze Textpassagen lesbar. Unter ihnen sind biblische Textabschnitte aus dem 3. und 5. Buch Mose, wie die Archäologen vor wenigen Tagen auf einer Konferenz in Jerusalem berichteten. Anhand der charakteristischen Handschrift-Merkmale und den Textinhalten gelang es ihnen, einige dieser neuentzifferten Fragmente bereits bekannten Schriftrollentexten vom Toten Meer zuzuordnen.
Neue Sicht auf bekannte Texte
Einer der Schnipsel enthält Wörter, die auf eine Zugehörigkeit zur Großen Psalmen-Schriftrolle hindeuten – einem der umfangreichsten und am besten erhaltenen Qumran-Funde. „Das neue Fragment konserviert Teile des Anfangs von Psalm 147:1“, berichten die Archäologen. „Es belegt, dass der Text dieses Psalms etwas kürzer gefasst war als in heutigen Fassungen.“
Ein weiteres Fragment gehört wahrscheinlich zur Tempel-Schriftrolle, einem Text, der Anweisungen für die Durchführung von Tempelritualen enthält. Bisher war strittig, ob von diesem Text zwei oder drei Kopien in der Qumran-Höhle 11 gefunden wurden. „Das neue Fragment stärkt nun die Theorie, dass es eine dritte Kopie dieses Textes gibt“, so die Archäologen.
Hinweis auf noch unbekanntes Manuskript?
Besonders spannend aber ist ein drittes Schriftrollen-Fragment: Es trägt Buchstaben in einer sehr alten Form des Hebräischen und sein Inhalt lässt sich keinem bisher bekannten Text zuordnen. „Das weckt die Möglichkeit, dass dieses Fragment zu einem noch unbekannten Manuskript gehört“, sagen die Wissenschaftler.
Sie hoffen nun, weitere Teile dieses unbekannten Textes zu finden. Die Chancen stehen gut, denn noch warten weitere 20 Zigarrenkästchen mit Schriftrollen-Fragmenten auf ihre Untersuchung. Einige von ihnen enthalten fast 100 Pergamentschnipsel, andere nur drei, wie Ableman berichtet. Noch sei allerdings unklar, ob es ein finanzielles Budget für die aufwändigen Analysen gibt.
(Israel Antiquities Authority, Haaretz, The Times of Israel, 09.05.2018 – NPO)