Katastrophaler Ursprung: Seit fast 200 Jahren rätseln Geologen über die Ursache der Zapfensande – auffallend kaulquappenförmigen Strukturen in Sedimenten Süddeutschlands und Kaliforniens. Jetzt haben Forscher das Geheimnis dieser Gebilde gelüftet. Demnach entstehen sie nur dort, wo starke Erdbeben oder andere seismische Erschütterungen den sandigen Untergrund komprimiert haben. Die Zapfensande könnten demnach als Anzeiger für seismische Risiken dienen.
Auf den ersten Blick sind sie ziemlich unspektakulär: Die in einigen Sedimentformationen vorkommenden Zapfensande sind wenige Dutzend Zentimeter bis gut einen Meter lang und bestehen meist aus komprimiertem Sandstein. Typischerweise haben sie einen verdickten Kopf, an den sich ein schmal zulaufender Schwanz anschließt. „Diese auffallende Form scheint einzigartig für die Zapfensande zu sein, sie ist von anderen Konkretionen nicht bekannt“, erklären Elmar Buchner von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Neu-Ulm und seine Kollegen.
Stalagmiten? Fossile Pilze? Blitzröhren?
Die erste Vertreter dieser merkwürdigen Gebilde wurden schon vor rund 200 Jahren südlich der Schwäbischen Alb gefunden – rund um Ravensburg, Biberach, Ulm und Günzburg. Ganz ähnliche Zapfensande entdeckten Geologen in den 1930er Jahren am Mount Signal in Kalifornien. „Dort wurden tausende solcher Zapfensande gefunden, die aber fast alle schon in den 1950er Jahren gesammelt oder durch Bauarbeiten zerstört wurden“, berichten Buchner und sein Team.
Was aber schuf einst diese merkwürdigen Sandsteingebilde? „Frühere Theorien interpretierten die Zapfensande als verschüttete Stalagmiten, als versteinerten Seetang, Rüben oder Pilze, als durch Blitzeinschläge entstandene Fulgurite oder auch als sandgefüllte Krebsgänge“, erklären die Forscher. Auch als Konkretionen aus der Gezeitenzone einstiger Meeresufer sah man die länglichen Formationen an. Anders als viele andere Formationen aus komprimiertem Sand haben die Zapfensande jedoch keine innere Struktur aus konzentrischen Ringen oder anderweitig erkennbaren Schichten.
Auffallend einheitliche Ausrichtung
Belege für einen weit dramatischeren Ursprung der Zapfensande haben dagegen Buchner und sein Team aufgedeckt. Die Basis dafür bildeten mehr als 311 Zapfensande und ihre Fundschichten aus dem Molassebecken südlich der Schwäbischen Alb, die die Forscher eingehend geologisch untersuchten und kartierten. Zusätzlich unterzogen sie einzelne Zapfensande einer gründlichen petrografischen Analyse.
Die Untersuchungen enthüllten: Die Zapfensande in Süddeutschland sind nicht beliebig ausgerichtet. Stattdessen scheinen ihre Schwänze fast überall in die gleiche Richtung zu zeigen – ungefähr nach Süden, wie die Forscher ermittelten. Dabei sind die Zapfenstiele nahe Augsburg eher nach Südosten gerichtet, die bei Ochsenhausen und Biberach dagegen leicht südöstlich. Verlängert man diese Linien, laufen sie ungefähr an der Grenze von Schwäbischer und Fränkischer Alb zusammen.
Seismische Erschütterungen im Spiel
Auffallend auch: Die deutschen Zapfensande kommen meist in Fundschichten aus der Zeit vor rund 15 Millionen Jahren vor – der Zeit, als im Nördlinger Ries ein großer Asteroid einschlug und Einschlagstrümmer, geschmolzenes Gestein und seismisch bedingte Schockkristalle bis in die Alpen hinein schleuderte. Die Zapfensande in Kalifornien wiederum liegen alle rund als 40 Kilometer westlich der Imperial Fault, einem Teil der San-Andreas-Verwerfung – und auch sie zeigen alle von diesem Zentrum starker Erdbeben weg.
Nach Ansicht von Buchner und seinem Team spricht dies dafür, dass die Entstehung der Zapfensande eng mit starken seismischen Erschütterungen verknüpft sein muss. Sie sehen in ihnen einen Spezialtyp von sandbasierten Seismiten – durch Schock-Deformation gebildete Ablagerungen. Dabei sorgen die Schockwellen eines Erdbebens oder einer anderen starken Erschütterung dafür, dass Bodenkörnchen zusammengepresst und verfestigt werden.
Anzeiger für Starkbeben
Allerdings scheint die Bildung der Zapfensande nur unter sehr speziellen Bedingungen zu erfolgen, wie die Forscher erklären. Zum einen ist dafür eine lose Sandschicht auf teilweise feuchtem Sediment nötig. Zum anderen aber muss das auslösende Ereignis eine gewisse Mindeststärke erreichen. „Zapfensande scheinen sich nur bei sehr energiereichen und zerstörerischen Erdbeben von mindestens der Magnitude 7 zu bilden“, schreibt das Team. Denn sonst müssten auch entlang anderer Verwerfungen häufiger diese Gebilde entstanden sein.
Das aber bedeutet: Die Zapfensande eignen sich als potenzielle Indikatoren für Gebiete, in denen es besonders starke Erdbeben oder andere seismische Ereignisse gegeben hat. Das könnte dabei helfen, das Erdbebenrisiko dieser Regionen enger einzugrenzen. So waren an der Imperial Fault in Kalifornien bisher nur Beben von bis zur Magnitude sieben bekannt. Die Zapfensande legen nun aber nahe, dass es dort in jüngerer geologischer Vergangenheit ein deutlich stärkeres Beben gegeben hat.
Die neuen Erkenntnisse lösen damit nicht nur das Rätsel um die Bildung der Zapfensande, sie könnten sich auch als nützlich erweisen. Denn mit ihrer Hilfe könnte sich das Gefahrenpotenzial bestimmter Regionen genauer als bisher abschätzen lassen. (Nature Communications, 2021; doi: 10.1038/s41467-021-27061-6)
Quelle: Hochschule für angewandte Wissenschaften Neu-Ulm