Mysteriöse Ausgasungen: Die Atmosphäre über dem Roten Meer enthält extrem hohe Konzentrationen von Ethan- und Propangas – die Emissionen sind höher als die von ganz Kuweit oder dem Irak, wie Messungen enthüllen. Seltsamerweise aber stammen diese Kohlenwasserstoffe nicht aus anthropogenen Quellen. Stattdessen könnte ihr Ursprung am Grund des Roten Meeres liegen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Das Rote Meer ist in gleich mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Denn der schmale, aber bis zu 2.000 Meter tiefe Meeresarm birgt das wärmste und salzigste Tiefenwasser aller Ozeane weltweit. Sogar submarine Salzseen gibt es dort am Meeresgrund. Ursache dafür sind unter anderem Reste urzeitlicher Salzgletscher im Untergrund, aus denen sich das Salz löst und dann durch Risse zutage tritt. Zudem gibt es nur wenig Wasseraustausch zwischen dem Tiefenwasser des Roten Meeres und den angrenzenden Gewässern.
Messfahrt durchs Rote Meer
Doch auch über der Wasseroberfläche geht Merkwürdiges vor sich, wie nun Forscher um Efstratios Bourtsoukidis vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz entdeckt haben. Während einer Messfahrt vom Mittelmeer durch das Rote Meer zum Indischen Ozean und zurück hatten sie im Sommer 2017 erstmals systematische Luftmessungen in dieser Region durchgeführt. Der Schwerpunkt lag dabei auf Ethan, Propan und anderen gasförmigen Kohlenwasserstoffen.
Typischerweise stammt ein Großteil dieser Kohlenwasserstoffe aus anthropogenen Quellen wie der Erdöl- und Erdgasförderung oder aus Industrieanlagen. Ein weltweiter Hotspot solcher Emissionen sind daher die erdölfördernden Länder des Nahen Ostens. Doch wie viel Ethan und Propan dort tatsächlich freigesetzt werden und wie hoch die atmosphärischen Werte dieser Kohlenwasserstoffe sind, war bislang kaum erforscht.
40 Mal mehr Gas als erwartet
Die Messungen ergaben Überraschendes: Während die Werte in den meisten Gebieten in etwa den Erwartungen und Modellen entsprachen, war dies im nördlichen Teil des Roten Meeres nicht der Fall. „Die Anteile von Ethan und Propan lagen dort 20- bis 40-fach über den Modellvorhersagen“, berichten Bourtsoukidis und seine Kollegen. „Das Ausmaß dieser Gasemissionen ist vergleichbar mit den Emissionen mehrerer Ölförderländer des Nahen Ostens, wie die Vereinten Arabischen Emirate, Kuweit und der Oman.“
Nähere Analysen enthüllten, dass diese Gasemissionen offenbar nicht anthropogenen Ursprungs sind, sondern aus natürlichen Quellen stammen müssen. Doch aus welchen? „Weil es keine vorherigen Daten aus dieser Region gab, mussten wir mehrere Modellsimulationen durchführen, um die Quelle zu finden“, sagt Bourtsoukidis. „Am Ende kamen wir zu einer unerwarteten Schlussfolgerung: Die hohe Konzentration von Ethan und Propan in dieser Gegend muss vom Grund des Roten Meeres stammen.“
Wo kommen die Gase her?
Doch was ist die Quelle? Eine Möglichkeit wäre, dass die Gase aus Rissen im Meeresgrund austreten. „Da diese Region für ihre großen Öl- und Gasreserven bekannt ist, könnten die Kohlenwasserstoffe aus Lecks in den Reservoiren aufsteigen“, sagen Bourtsoukidis und sein Team. Denkbar wäre aber auch, dass die salzhaltigen Senken am Grund des Roten Meeres diese Gase freisetzen. Denn einige von ihnen sind für ihre hohen Gehalte an organischem Material und an Kohlenwasserstoffen bekannt, wie die Forscher erklären.
„Auch wenn wir die relative Bedeutung der verschiedenen submarinen Kohlenwasserstoffquellen nicht kennen, gehen wir davon aus, dass sie zusammen die unbekannte, in unseren Messungen identifizierte Quelle darstellen“, so die Forscher. Über aufsteigende Wasserströmungen entlang der Küste Ägyptens gelangen die am Meeresgrund freigesetzten Gase dann relativ schnell an die Wasseroberfläche und damit in die Atmosphäre.
Wolke von Luftschadstoffen
Das hat Folgen: Ethan und Propan reagieren in der Atmosphäre mit Stickoxiden und bilden sowohl bodennahes Ozon als auch Peroxyacetylnitrat – ein für Menschen und Pflanzen giftiges Spurengas. Im Suezkanal und im Roten Meer emittiert vor allem der starke Schiffsverkehr große Mengen an Stickoxiden und fördert so die Bildung dieser Luftschadstoffe. „Die Folge ist eine signifikante Verschlechterung der regionalen Luftqualität“, sagen Bourtsoukidis und seine Kollegen.
Nach Angaben der Forscher könnte sich dieses Problem in Zukunft noch verstärken. Denn Schätzungen zufolge wird der Schiffsverkehr durch das Rote Meer und den Suezkanal in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich zunehmen. Das könnte die Luftqualität in vielen Städten entlang dieser Region deutlich beeinträchtigen. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-14375-0)
Quelle: Max-Planck-Institut für Chemie