Doppelter Antrieb: Indien legte vor rund 80 Millionen Jahren plötzlich den Turbo ein – die Erdplatte wanderte ab dann mit dreifachem Tempo auf Eurasien zu. Warum das geschah, haben US-Geologen nun aufgeklärt. Demnach gab es zwischen Eurasien und Indien damals nicht nur eine sondern gleich zwei Plattengrenzen. Und weil beide Subduktionszonen Kruste in die Tiefe zogen, sorgten sie für doppelten Schub, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“.
Nepal, Tibet und der Himalaya sind nicht zufällig erdbebengefährdet: Sie sitzen direkt auf der Kollisionszonen von Indien und Eurasien. Vor rund 120 Millionen Jahren brach die Indische Platte vom Südkontinent Gondwana ab und begann, nach Norden zu wandern. Zunächst legte sie dabei ein normales Tempo von rund fünf Zentimetern pro Jahr vor. Doch vor rund 80 Millionen Jahren verdreifachte die Indische Platte plötzlich ihre Driftgeschwindigkeit auf rund 15 Zentimeter pro Jahr – fast doppelt so schnell wie die schnellsten tektonischen Platten heute.
Rätselhafte Beschleunigung
„Wenn man sich in Simulationen anschaut, wie Indien sich langsam von der Antarktis löst und dann plötzlich losrast – das ist ganz schön dramatisch“, sagt Leigh Royden vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Erst als Indien knapp 30 Millionen Jahre später mit Eurasien kollidierte, verlangsamte dies seine Drift wieder. Warum diese Platte aber zuvor so plötzlich den Turbo eingelegt hat und was sie so ungewöhnlich schnell wandern ließ, blieb bisher rätselhaft.
Jetzt könnten Royden, sein Kollege Oliver Jagoutz und weitere Geologen die lange gesuchte Erklärung gefunden haben. Bei Exkursionen in den Himalaya – und damit ins Grenzgebiet der Eurasischen und Indischen Platte – sammelten sie Gesteinsproben, analysierten sie und führten an diesen und weiteren Proben Magnetmessungen durch. Dies gibt unter anderem Rückschlüsse auf das Alter des Gesteins.
Eine Zwischenplatte und zwei Subduktionszonen
Dabei stießen sie auf Überraschendes: Das Gestein lieferte Hinweise dafür, dass zwischen Indien und Eurasien damals nicht nur eine, sondern gleich zwei Plattengrenzen gelegen haben könnten. Offenbar gab es vor rund 90 Millionen Jahren noch eine kleine, ozeanische Zwischenplatte zwischen den beiden Kontinenten. Wie sie aussah und was an ihren Rändern geschah, haben die Forscher unter anderem mit Hilfe von Simulationen nun rekonstruiert.
„Unsere Daten sprechen dafür, dass damals zwei Subduktionssysteme durch eine rund 1.500 bis 3.00 Kilometer breite Platte getrennt waren“, so Jagoutz und seine Kollegen. Diese Kshiroda-Platte wurde an der nördlichen Seite in einer Subduktionszone unter Eurasien gedrückt, an ihrer Südseite zog sie ihrerseits die Indische Platte in die Tiefe. Weil damit beide Plattengrenzen Kruste zwischen Eurasien und Indien in die Tiefe ziehen, addiert sich auch ihr Effekt auf die Indische Platte – sie wandert schneller als bei nur einer Subduktionszone.
Verkürzte Grenze
Das alleine aber reicht noch nicht aus, um die plötzliche Beschleunigung Indiens vor rund 80 Millionen Jahren zu erklären. Denn diese doppelte Plattengrenze war auch schon vorher da. Den entscheidenden Anstoß zum Turbo-Wandern gab daher etwas anderes, wie die Forscher erklären. Westlich der Kshiroda-Platte kam Arabien vor rund 80 Millionen Jahren dem Ausläufer der südlichen Subduktionszone ins Gehege. Dies verkürzte diese Plattengrenze von rund 10.000 Kilometern Länge auf nur noch 3.000 Kilometer.
Diese Verkürzung aber wirkte sich auch auf die Drift aus: Wenn an einer solchen Plattengrenze Kruste in die Tiefe gedrückt wird, wird dort zähflüssiges Material verdrängt und quillt seitlich weg. Je kürzer eine Subduktionszone ist, desto leichter geht dies – und umso schnell kann weitere Kruste in die Tiefe gezogen werden. „Es ist einfacher, Honig durch eine große Öffnung zu quetschen als durch eine dünne – das ist genau das gleiche Phänomen“, erklärt Royden.
Die Kombination von doppelter Subduktion und Verkürzung der Plattengrenze war es demnach, die Indien seinen plötzlichen Temposchub verpasste. „In den Geowissenschaften ist es schwer, sich einer Sache völlig sicher zu sein“, sagt Royden. „Aber hier gibt es so viele Belege, die zusammenpassen, dass wir ziemlich überzeugt sind.“ (Nature Geoscience, 2015; doi: 10.1038/ngeo2418)
(Massachusetts Institute of Technology, 05.05.2015 – NPO)