Rätselhaft seit Jahrhunderten: Schon früher beobachteten Menschen manchmal ein diffuses Leuchten, das die Nacht fast zum Tage machte. Doch erst jetzt haben Forscher aufgeklärt, was diese „hellen Nächte“ verursacht. Schuld sind demnach weder Polarlichter noch Sonnenstürme, sondern eine seltene Verstärkung des „Airglow“, der diffusen Strahlung, die angeregte Gasteilchen in der oberen Atmosphäre nach Sonnenuntergang abgeben.
Das Phänomen der „hellen Nächte“ ist schon seit der Antike bekannt: Plinius der Ältere beschrieb es als „ein Licht, das vom nächtlichen Himmel scheint und die Nacht fast zum Tage macht.“ Obwohl die Sonne längst untergegangen ist, scheint der Himmel von einem diffusen, leicht grünlichen Licht erfüllt. Dieses ist hell genug, um selbst in mondloser Nacht die Landschaft zu erkennen und sogar eine Zeitung lesen zu können, wie Augenzeugen berichten.
Lichtverschmutzung überdeckt das Phänomen
„Die historischen Aufzeichnungen über dieses Phänomen reichen Jahrhunderte zurück – und die Beschreibungen stimmen alle überein“, erklärt Gordon Shepherd von der York University in Toronto. Demnach ist dieses diffuse Nachtlicht selten und nur in mondlosen Nächten zu sehen. Seine Helligkeit scheint zum Horizont hin zuzunehmen. 26 solcher „heller Nächte“ sind geschichtlich dokumentiert, wie der Astronom berichtet.
Aus der Gegenwart allerdings fehlen solche Berichte. Der Grund: Die fast flächendeckende Lichtverschmutzung durch den Menschen hellt die Nächte so weit auf, dass dieses natürliche Phänomen im Streulicht untergeht. „Dadurch kann man es heute schlicht nicht mehr sehen – obwohl es noch da ist“, so Shepherd.
Weder Polarlicht noch Sonnensturm
Doch was verursacht dieses Leuchten? Zunächst vermuteten Forscher einen Zusammenhang mit Sonnenstürmen oder Polarlichtern. Nähere Analysen ergaben jedoch, dass die hellen Nächte in Zeiten starker Sonnenaktivität nicht häufiger auftreten als während relativ solarer Ruhe. Im Gegensatz zu Polarlichtern ließ sich zudem während dieser Ereignisse keinerlei erhöhte magnetische Aktivität in der Atmosphäre nachweisen.
Was aber ist dann der Grund? Um das herauszufinden, griffen Shepherd und sein Kollege Youngmin Cho auf Messdaten des Wind Imaging Interferometer (WINDII) zurück, einem auf einem NASA-Satelliten montierten Instrument, das die Lichtemissionen von Teilchen in der Atmosphäre aufzeichnet.
Ist der Airglow schuld?
Ihr Verdacht: Die hellen Nächte könnte eine lokal verstärkte Version des sogenannten Airglow sein, einem aus dem Orbit sichtbaren grünlichen Schimmern der oberen Atmosphäre. Er tritt auf, weil die tagsüber einfallende Sonnenstrahlung die Gasteilchen anregt und ihre Elektronen auf ein höheres Energieniveau katapultiert. Diese Energie wird jedoch erst verzögert in Form von Photonen bestimmter Wellenlängen abgegeben – meist nach Anbruch der Dämmerung.
Der normale Airglow ist nur vom All aus sichtbar, kann also allein die hellen Nächte nicht erklären, wie die Forscher erklären. Doch ihre Analysen der WINDII-Daten enthüllten, dass es unter bestimmten Bedingungen zu einem lokal verstärkten Airglow kommen kann. Dabei führen Strömungswellen in der oberen Atmosphäre dazu, dass die angeregten Gasteilchen vorübergehend an einem Ort konzentriert werden.
Zehnfach heller als sonst
Aber reicht dies, um die Nacht an diesem Ort so stark aufzuhellen? Um das herauszufinden, rekonstruierten die Forscher das Geschehen mithilfe eines physikalischen Modells. Und tatsächlich: „Wenn alle vier Komponenten der zonalen Wellen an einem Ort in der gleichen Phase schwingen, dann kann dies die Emissionsraten des Airglow über Tage hinweg um das Zehnfache und mehr erhöhen“, berichten sie.
Auch wenn wir das Nachtleuchten heute mangels Dunkelheit nicht mehr sehen, tritt es in rund sieben Prozent der Nächte irgendwo auf der Erde auf, wie Shepherd und Chu ermittelten. An einem bestimmten Ort kann es daher sogar einmal im Jahr eine solche helle Nacht geben. Wann dies der Fall ist, ließe sich theoretisch sogar mithilfe der Atmosphärenwellen und ihrer Dynamik vorhersagen, so die Forscher.
Damit könnte das jahrhundertealte Rätsel der hellen Nächte endlich gelöst sein. Die Ironie des Schicksals besteht allerdings darin, dass dies ausgerechnet in einer Zeit gelungen ist, in der wir uns durch unsere Lichtverschmutzung des Anblicks dieses faszinierenden Phänomens beraubt haben. (Geophysical Research Letters, 2017; doi: 10.1002/2017GL074014)
(American Geophysical Union, 23.06.2017 – NPO)