Geowissen

Rätselhaftes X-Muster in der Ionosphäre

Neuentdeckte Plasmaformationen deuten auf unbekannte Prozesse in der hohen Atmosphäre hin

X-Struktur in der Ionosphäre
In der Ionosphäre unseres Planeten haben Geophysiker eine unerwartete X-Formation aus verdichtetem Plasma entdeckt. © NASA/ Scientific Visualization Studio

Buchstabe am Himmel: Ein NASA-Satellit hat seltsame Muster in der irdischen Ionosphäre entdeckt – riesige X-förmige Plasma-Verdichtungen, die sich hoch über dem Äquator bilden. Das Merkwürdige daran: Diese über die halbe Erde reichenden Strukturen treten nicht nur bei Sonnenstürmen oder anderen Störungen auf, sondern auch in ruhigen, eigentlich ungestörten Phasen. Warum, ist noch ungeklärt. Ähnlich rätselhaft sind kleinere, C-förmige Plasmablasen, die immer paarweise auftreten.

Die in rund 80 Kilometer Höhe beginnende Ionosphäre ist ein wichtiger Schutz gegen harte kosmische Strahlung – aber auch ein Akteur in der globalen Telekommunikation. Denn diese von geladenen Teilchen und Plasma erfüllte Atmosphärenschicht reflektiert Funkwellen an ihrer Untergrenze und ermöglicht erst dadurch deren Langstreckenübertragung.

EIA
Durch Wechselwirkung mit den dem Erdmagnetfeld bilden sich beiderseits des Äquators ionosphärische Plasmaverdichtungen, die EIA. © NASA/ Scientific Visualization Studio

Allerdings ist die Ionosphäre keine homogene Schicht: Durch den Einfluss des Erdmagnetfelds und des Sonnenwinds bilden die geladenen Ionen und Elektronen des Ionosphären-Plasmas beiderseits des Äquators dichtere Zonen, die sogenannte Equatorial Ionization Anomaly (EIA). Diese Bänder verlaufen normalerweise parallel zum Äquator und umspannen den Globus.

Riesiges „X-Chromosom“ aus Plasma

Doch jetzt haben Forscher um Fazlul Laskar von der University of Colorado eine merkwürdige Verformung dieser EIA-Bänder entdeckt – und das zu einer völlig unerwarteten Zeit. Für ihre Studie hatten sie Daten des GOLD-Satelliten (Global-scale Observations of the Limb and Disk) der NASA ausgewertet. Dieser geostationäre, über dem Äquator auf 47,5 Grad westlicher Länge stationierte Satellit beobachtet die Ionosphäre mithilfe von zwei UV-Spektrografen. Eigentliches Ziel ist es, die Folgen von Sonnenstürmen und anderen Störungen dieser Atmosphärenschicht besser zu verstehen.

Umso überraschter waren Laskar und sein Team, als sie während einer völlig ruhigen Phase plötzlich ein riesiges X in den Ionosphären-Daten entdeckten: Die beiden parallelen Bänder der EIA waren an einer Stelle verschmolzen und glichen dadurch einem riesigen, über die halbe Erde reichenden X-Chromosom. „Das ist eine für geomagnetisch ruhige Bedingungen unerwartete Struktur“, sagt Laskar.

Verschmolzene Bänder

X-Struktur
Dieses riesige X aus verdichtetem Plasma trat merkwürdigerweise in einer völlig ruhigen geomagnetischen Phase ohne erkennbare Störungen der Ionosphäre auf. © F. Laskar et al./ NASA

Nähere Analysen ergaben, dass die GOLD-Daten auch in anderen ungestörten Phasen schon ab und zu solche Verformungen der ionosphärischen Plasmabänder zeigten. Typischerweise bilden sich die riesigen X-Muster dabei kurz nach Sonnenuntergang und erscheinen an ihrem westlichen Ende heller als an ihrem östlichen. Dabei sind sie offenbar relativ stationär: „Wir beobachteten das EIA-X rund zwei Stunden, ohne dass es sich nach Westen oder Osten verlagerte“, berichten die Forschenden. Wahrscheinlich bleibe die Struktur noch weitaus länger stabil.

Doch was ist die Ursache dieser seltenen, aber riesigen X-Struktur? Wie das Team erklärt, wurden schon zuvor Verformungen der beiden Plasmabänder beobachtet. Diese traten aber nur bei starken geomagnetischen Störungen auf, wie bei extremen Sonnenstürmen oder den bis in die Ionosphäre ausstrahlenden Druckwellen des Tonga-Ausbruchs im Januar 2022. „Unsere Untersuchungen zeigen nun, dass dies offenbar nicht die einzigen Prozesse sind, die die EIA-Bänder verformen und verschmelzen können“, schreiben Laskar und seine Kollegen.

Abwärtsstrom und ungeklärte Effekte

Um dem merkwürdigen Phänomen auf den Grund zu gehen, bildeten die Geophysiker das mögliche Geschehen in der Ionospäre mithilfe eines speziellen Modells nach. „Das WACCM-X ist ein Atmosphären-Klimamodell, das Modelle von Land, Ozean und unterer Atmosphäre mit der Ionosphäre verknüpft“, erklären sie. Die Simulationen bestätigten, dass Störungen des elektrischen Ionosphärenfelds am Äquator auch in geomagnetisch ruhigen Zeiten ein solches X-Muster hervorbringen können. Das EIA-X kann zudem in allen Längenbereichen auftreten.

Eine Voraussetzung scheint dabei ein deutlicher Abwärtsstrom von geladenen Teilchen zwischen zwei positiv geladenen Zonen zu sein, wie das Modell enthüllte. „Einer der Treiber hinter diesem unerklärten Phänomen scheint demnach seinen Ursprung in der unteren Atmosphäre zu haben“, erklären Laskar und seine Kollegen. „Wir vermuten, dass großräumige Wellen in der unteren Atmosphäre wie Gezeitenwellen und planetare Wellen und ihre Wechselwirkungen eine führende Rolle dabei spielen.“

Allerdings kann dies noch nicht die ganze Erklärung sein: „Es ist wichtig anzumerken, dass ein solcher Abwärtsstrom für ein EIA-X zwar nötig, aber für sich allein nicht ausreichend ist“, betonen die Forschenden. Denn es gebe viele Fälle vergleichbarer Abwärtsströme, bei denen das ionosphärische X-Muster nicht auftritt. Nach Ansicht des Teams spricht dies dafür, dass weitere Prozesse beteiligt sein müssen. Welche, ist aber noch ungeklärt.

C-förmige Plasmablasen
Die dunklen, C-förmigen Bereiche zwischen den beiden Plasmabändern sind die neuentdeckten C-Blasen. © F. Laskar et al./ NASA

Paarige Blasen in C-Form

Ähnlich ungeklärt ist ein zweites erst 2020 mithilfe von GOLD in der Ionosphäre entdecktes Plasmamuster. Bei diesem bilden sich Paare bogenförmiger Plasmablasen, die wie zwei Klammern oder C-Buchstaben aussehen. Dabei kehren sie sich mal ihren Rücken, mal ihren Bauch zu. Das Überraschende daran: Diese spiegelbildlichen Plasmablasen sind dabei nur gut 640 Kilometer voneinander entfernt. „Dass zwei gegensätzlich geformte Ionosphärenblasen so nahe beieinander liegen, wurde nie zuvor beobachtet oder auch nur angenommen“, sagt Deepak Karan von der University of Colorado.

Dass sich in der Ionosphäre nach Sonnenuntergang Zonen ausgedünnten Plasmas bilden können, ist schon seit einigen Jahren bekannt. Denn diese Blasen stören die Satellitenkommunikation und können vorübergehend sogar zum völligen Kontaktabbruch führen. Sie scheinen meist durch starke Turbulenzen und Stürme in der Ionosphäre zu entstehen. Wie solche Stürme aber paarige Blasen in so geringem Abstand und in dieser spezifischen Form erzeugen, ist noch ungeklärt.

„Komplexer als erwartet“

„Die Tatsache, dass wir verschieden geformte Blasen nah beieinander finden, verrät uns, dass die Dynamik der Erdatmosphäre offensichtlich noch komplexer ist als wir erwartet haben“, kommentiert der nicht an den Studien beteiligte Geophysiker Jeffrey Klenzing vom Goddard Space Flight Center in Greenbelt der NASA. Umso wichtiger sei es, diese Phänomene aufzuklären, auch wenn sie offenbar eher selten auftreten. (JGR Space Physics, 2024; doi: 10.1029/2023JA032224: doi: 10.1029/2023JA031625)

Quelle: NASA/ Goddard Space Flight Center

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