Die gefürchteten Raubdinosaurier Velociraptor und Deinonychus setzten ihre scharfen, vergrößerten Klauen wahrscheinlich nicht zum Kämpfen oder Töten ein. Stattdessen nutzen diese wendigen Fleischfresser der Kreidezeit ihre Sichelklauen ähnlich wie heutige Adler und Habichte: Um größere Beute zu packen und festzuhalten, während sie diese lebendig verschlangen. Dabei flatterten sie vermutlich mit ihren gefiederten Vorderbeinen, um das Gleichgewicht zu halten. Das schließen US-amerikanische Forscher aus Ähnlichkeiten im Körperbau zwischen den zweibeinig laufenden Raubsauriern und heutigen Greifvögeln.
„Moderne Habichte und Adler besitzen ähnlich vergrößerte Klauen an ihren zweiten Zehen und nutzen sie als Greifer für Beute, die in etwa so groß ist wie sie selbst“, berichten sie im Fachmagazin „PloS ONE“. Da die Greifvögel Beute dieser Größe nicht mit ihrem Schnabel oder den Krallen töten können, müssen sie sich lebendig verschlingen. Es sei daher plausibel, dass die mit den Vögeln nahe verwandten und ihnen auch im Körperbau ähnlichen Raubsaurier sich genauso verhielten.
Gefiederte Vorderbeine halfen beim Halten des Gleichgewichts
Dieses Beutefang-Verhalten könnte nach Ansicht der Forscher auch erklären, wozu die bis vor rund 70 Millionen Jahren lebenden Raubsaurier ihre verkürzten, flügelähnlichen Vorderbeine nutzten: „Wenn ein moderner Habicht seine vergrößerten Krallen in seine Beute geschlagen hat, kann er seine Füße nicht länger nutzen, um sich sicheren Stand zu verschaffen“, erklärt Erstautor Denver W. Fowler von der Montana State University in Bozeman. Daher schlage der Greifvogel mit den Flügeln, um sein Gleichgewicht zu halten und über der Beute zu bleiben.
Ähnlich könnten auch die Raubsaurier ihre Stummelflügel eingesetzt haben. „Wir finden bereits voll ausgebildete Flügel bei Dromaeosaurier-Fossilien, die von ihrer Biomechanik her auch schon flattern konnten“, sagt Fowler. Forscher seien sich einig darin, dass Velociraptor und seine Verwandten mit ihren gefiederten Vorderbeinen noch nicht fliegen konnten. Wozu die Vorderbeine eingesetzt wurden, war aber unklar.
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist es plausibel, dass die Dinosaurier mit ihren rudimentären Flügeln bereits flatterten, um beim Beutefang das Gleichgewicht zu halten. Dieses Flattern könnte dann dem echten Fliegen den Weg geebnet haben. „Wir halten daher ein ‚Flattern zuerst‘-Modell für wahrscheinlich, in dem sich das Flattern zuerst für andere Zwecke entwickelte und dann erst später von den Vögeln für den Flug weiterentwickelt wurde“, sagt Fowler.
Knochenbau und Biomechanik als Indiz für Verhalten
Für ihre Studie analysierten die Forscher den Körperbau von 26 Dinosaurierarten aus der Gruppe der Dromaeosaurier, zu denen auch Velociraptor, Deinonychus und andere zweibeinig laufende, kleinere Raubsaurier gehörten. Diese Daten verglichen sie mit der Biomechanik heute lebender Greifvögel wie Adlern und Habichten und den aus diesem Körperbau resultierenden Verhaltensweisen.
Der Vergleich der Fußknochen erlaube auch Rückschlüsse auf die Lauffähigkeit und Jagdstrategie von Velociraptor und seinen Verwandten. Der Mittelfußknochen sei bei guten Läufern unter den Vögeln und Dinosauriern relativ lang, bei Greifvögeln und auch bei den Dromaeosauriern aber sehr kurz und kräftig.
„Velociraptor und Deinonychus hatten daher wahrscheinlich viel Kraft in ihren Füßen und Klauen, können aber keine sehr schnellen Läufer gewesen sein“, sagt Fowler. Nach Ansicht der Forscher waren die Dromaeosaurier daher eher Lauerjäger: Sie hetzten ihre Beute nicht lange, sondern schlichen sich an, um ihre Beute zu überraschen und zu packen. (PloS ONE, 2011; doi:10.1371/journal.pone.0028964)
(Montana State University / PLoS ONE, 16.12.2011 – NPO)