Gewaltiger Materialverlust: Der Itkillik River in Alaska frisst sich mit Rekordgeschwindigkeit in sein Flussufer – 19 Meter weit pro Jahr. Dabei trägt er jährlich 70.000 Tonnen Eis- und Erdmasse davon. Schuld an der Erosion ist tauender Permafrost, wie Forscher berichten. Das ungewöhnliche Tempo sei bedenklich und müsse unter Umständen auch in anderen Permafrostgebieten bei der Planung von Straßen und Siedlungen berücksichtigt werden, warnen sie.
Absackende Böden, Felsstürze und erodierende Uferlinien – abtauender Permafrost bringt die Menschen vielerorts immer wieder in Bedrängnis. Diese Regionen dauerhaft gefrorenen Bodens umfassen weltweit etwa 22 Millionen Quadratkilometer Fläche. Im Zuge des Klimawandels tauen diese ausgedehnten Gebiete nun allmählich auf. Vor allem in der Arktis verwandeln sich die Dauerfrostböden schon jetzt im Sommer regelmäßig in matschige Schlammwüsten – mit kostspieligen Konsequenzen.
Allein der tauende Permafrost in Alaska kostet die USA Schätzungen zufolge mehrere 100 Millionen Dollar pro Jahr – hauptsächlich weil Flughäfen, Straßen, Pipelines und Siedlungen aufgrund instabil gewordener Gebiete verlegt werden müssen. Wie schnell und unmittelbar das Tauen von Permafrost mitunter spürbar wird, hat nun ein Forscherteam um Mikhail Kanevskiy von der University of Alaska in Fairbanks beobachtet: Die Wissenschaftler ermittelten am Itkillik River im Norden Alaskas Erosionsraten am Flussufer, die alle bisherigen Rekordwerte übertreffen.
Stabilisationsmechanismen versagen
Im Rahmen einer mehrjährigen Forschungsarbeit hat das Team den Itkillik River an einer Stelle untersucht, an welcher der Fluss durch ein Plateau schneidet. Dessen Untergrund besteht zu 80 Prozent aus purem Eis und zu 20 Prozent aus gefrorenen Sedimenten. „Dieses Bodeneis ist 13.000 bis mehr als 50.000 Jahre alt, reicht bis in eine Tiefe von mehr als 40 Meter und hat die Uferzone des Flusses in der Vergangenheit stabilisiert“, erklären die Forscher.
Diese Stabilisationsmechanismen scheinen nun aber zu versagen. Denn das verhältnismäßig warme Flusswasser lässt den Permafrost tauen und transportiert Bodenmaterial, das sich bei diesem Prozess löst, direkt ab. Zudem taue die Klippe am Flussufer wegen ihrer Sonnenlage besonders schnell: „Auch wenn die Jahresdurchschnittstemperatur in dieser Region bei minus zwölf Grad Celsius liegt, wird es in der Sonne so warm, dass im Sommer Eisklumpen und Matsch in Strömen den Abhang hinabrutschen“, berichtet Kanevskiy.
70.000 Tonnen Material pro Jahr
Pro Jahr frisst sich der Itkillik River dadurch im Schnitt 19 Meter tief in das Ufer, wie die Messdaten der Forscher zeigen. Insgesamt zog sich die rund 700 Meter lange und 35 Meter hohe Klippe im Zeitraum von 2007 bis 2011 um bis zu 100 Meter zurück. Dabei ging eine Landfläche von rund 31.000 Quadratmetern verloren – also etwas mehr als die Größe von vier Fußballfeldern.
In Eis- und Erdmasse ausgedrückt bedeutet das: Der Fluss hat pro Jahr 70.000 Tonnen Material davongetragen – darunter 880 Tonnen organische Kohlenstoffverbindungen, die zuvor im Permafrostboden gespeichert waren. Bekannt ist bereits, dass durch dieses Abtauen des Bodens auch große Mengen des potenten Treibhausgases Methan freiwerden.
Gefährliches Tempo
Wie gefährlich die Rekord-Erosion sein kann, beobachteten Kanevskiy und seine Kollegen im August 2007: Innerhalb weniger Tage bildeten sich damals enorme Risse im Plateau – bis schließlich ein 800 Quadratmeter großer Block in die Tiefe stürzte. Zum Glück liegt der Flussabschnitt mit den hohen Erosionsraten in einer nahezu menschenleeren Gegend, sodass weder Dörfer noch wichtige Bauten wie Straßen oder Brücken gefährdet sind.
Den Forschern gibt das Ausmaß der Ufererosion dennoch zu denken: Wie schnell sich eine Uferlinie zurückzieht, hänge in den Permafrostgebieten zwar vom Eisgehalt im Boden und den geografischen Gegebenheiten ab. „Angesichts der steigenden Durchschnittstemperatur in der Arktis zeigt unser Beispiel am Itkillik River aber schon mal, welches Tempo die Erosion aufnehmen kann“, betonen die Wissenschaftler.
Ihr neues Wissen wollen die Forscher nun zum Beispiel bei der Planung neuer Siedlungen, Stromtrassen oder Verkehrsadern zu berücksichtigen. (Geomorphology, 2016, doi: 10.1016/j.geomorph.2015.10.023)
(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 27.01.2016 – DAL)