Rund ein Drittel aller Wirbeltiere in Deutschland sind gefährdet, darunter so bekannte Tiere wie der Feldhamster, der Kiebitz oder der Wendehals. Das zeigt die jetzt vorgestellte „Rote Liste der gefährdeten Wirbeltiere Deutschlands“. Diese nur alle zehn Jahre aktualisierte Erhebung fasst die Gefährdungssituation von 478 Tierarten zusammen.
Die Rote Liste Deutschlands wird alle zehn Jahre unter Federführung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zusammen mit zahlreichen ehrenamtlichen Expertinnen und Experten erarbeitet. Die Roten Listen beschreiben die Gefährdungssituation der Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Die aktuelle Bilanz der Naturschützer umfasst die 478 heimischen Arten der Säugetiere, Brutvögel, Kriechtiere, Lurche, Süßwasserfische und Neunaugen.
Von ihnen werden aktuell nun 207 Arten (43 Prozent) in die Gefährdungskategorien der Roten Liste eingestuft. Fast 28 Prozent (132 Arten) sind aktuell bestandsgefährdet. Zusammen mit den bereits verschwundenen 32 Arten droht Deutschland damit der Verlust von einem Drittel seiner terrestrischen Wirbeltierfauna. Weitere 9,2 Prozent (44 Arten) sind auf der Vorwarnliste, bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie künftig in eine Gefährdungskategorie gelangen.
Stark bedroht: Feldhamster, Kiebitz und Co
Unverändert stark bedroht sind Feldhamster, Seggenrohrsänger, Rotkopfwürger, Kampfläufer, Großtrappe, Goldregenpfeifer, Alpenstrandläufer, Seeregenpfeifer, Bekassine, Wendehals und Kiebitz. „Hier ergibt sich für den Naturschutz weiterer Handlungsbedarf, insbesondere in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft“, sagte Jessel. „Ackergebiete, in denen noch Feldhamster leben, dürfen nicht völlig ausgeräumt werden. Mehrjährige Kulturen und krautreiche Ackerrandstreifen gehören zu einer hamstergerechten Bewirtschaftung dazu, damit die Tiere ausreichende Wintervorräte sammeln können“, erläuterte die BfN- Präsidentin.
Für Brutvögel der Feuchtwiesen, wie Kiebitz, Bekassine, Kampfläufer, Alpenstrandläufer und Seggenrohrsänger, ist es notwendig, die Zerstörung ihrer Lebensräume durch Entwässerung und Nutzungsänderungen endlich zu stoppen. Die Verkleinerung der Milchviehbestän-de und die Förderung des Biomasseanbaus stellen jedoch neue Bedrohungen für Wiesen und Weiden dar, weshalb günstigere Zeiten für diese Vogelarten in weite Ferne rücken. Einer immer intensiveren
Landnutzung fallen auch der Wendehals und der Rotkopfwürger als Bewohner der mageren Trockenrasen und Heiden zum Opfer.
Reptilien bleiben am stärksten bedrohte Gruppe
Trotz regional ermutigender Entwicklungen, zum Beispiel bei Mauereidechse und Äskulapnatter, sind die Kriechtiere die in Deutschland am stärksten gefährdete Wirbeltiergruppe. Von den 13 heimischen Arten sind über 60 Prozent bestandsgefährdet, darunter die Sumpfschildkröte und die Würfelnatter. Dies hängt wesentlich mit der Lebensweise der Wärme liebenden Kriechtiere zusammen, denn günstige Ruhe- und Eiablage- Plätze in sonniger Lage sind für sie selten geworden. Deshalb sind Schutzgebiete, in denen es störungsfreie Zonen an Gewässern, auf Felsen oder an Trockenhängen gibt, für Eidechsen und Schlangen besonders wichtig.
Silberstreif am Horizont für Fischotter und Wolf
Aber es gab nicht nur Veschlechterungen. Bei 44 Arten und damit mehr als neun Prozent der betrachteten Gesamtmenge registrierten die Artenschützer auch Bestandeserholungen. Bei Fischotter, Wolf und Biber ist die Trendwende eindeutig ein Erfolg des Naturschutzes. Auch bei Wildkatze, Großem Mausohr, Fransenfledermaus und Seehund ist zu beobachten, dass Schutzmaßnahmen wirken.
„Allerdings unterliegen Wolf und Großes Mausohr speziellen Risikofaktoren, die eine Fortsetzung der positiven Entwicklung in Frage stellen. Hierzu zählen die Abhängigkeit von langfristig nicht sichergestellten Naturschutzmaßnahmen (Jagdverbot, Sicherung von Brutquartieren) und die Gefährdung durch Lebensraumzerstörungen (Zerschneidung durch Verkehrswege, Gebäudesanierungen). Ein konsequenter Artenschutz bleibt daher weiter erforderlich“, sagte BfN-Präsidentin Jessel.
Nur hier vorkommende Arten ebenfalls bedroht
Besonders hohe Aufmerksamkeit verdienen nach Ansicht der Naturschutzbehörde die Endemiten, Arten, die nur in Deutschland vorkommen, sowie die sogenannten „Verantwortlichkeits-Arten“. Bei diesen sind die Vorkommen in Deutschland für die Erhaltung der Art weltweit unverzichtbar, wie beispielsweise bei der stark gefährdeten Gelbbauchunke.
„Mit höchster Priorität muss das Aussterben der Chiemsee-Renke und des Ammersee-Kilchs verhindert werden, da Deutschland für diese beiden Fische eine besonders hohe weltweite Verantwortlichkeit besitzt. Beide Fische sind vom Aussterben bedroht und deshalb in die Kategorie 1 der Roten Liste eingestuft“, sagte BfN-Präsidentin Jessel. In den letzten 50 Jahren seien mit dem Bodensee-Tiefseesaibling und dem Bodensee- Kilch bereits zwei Fischarten ausgestorben, deren Verbreitungsgebiete ausschließlich den Bodensee umfassten.
Artenschutzziel der EU verfehlt
„Bei vielen Arten zeigt der Vergleich ihrer Bestandsentwicklung während der letzten Jahre mit dem vorausgegangenen langfristigen Trend eine erfreuliche Verbesserung ihrer Situation. Durch konsequenten Naturschutz konnten beispielsweise die Vorkommen des Fischotters stabilisiert werden“, sagte BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel. „Bei vielen anderen Arten beobachten wir aber fortschreitende Rückgänge, die weiteren Handlungsbedarf zeigen. Nach gegenwärtigem Stand wird Deutschland das 2010-Ziel der EU, den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen, für den Bereich des Artenschutzes deutlich verfehlen.“
(Bundesamt für Naturschutz, 08.10.2009 – NPO)