Archäologie

Ruinenstadt am See Gennesaret überrascht Forscher

Eisenzeitliche Stadt weitaus entwickelter und differenzierter als angenommen

Ausgrabung in Tel Kinrot © Universität Mainz

Bisher galt die Zeit ab 1150 vor Christus als Periode des Niedergangs – zumindest für die Bevölkerung, die entlang des Sees Gennesaret im heutigen Israel lebte. Allenfalls kleine Bauerndörfer konnte es damals nach Ansicht der Archäologen gegebenen haben. Doch eine seit 2003 laufende Grabung hat nun die Überreste einer eindeutig hochentwickelten Stadt aus dieser Zeit entdeckt.

Seit dem Jahr 2003 untersuchen Grabungsteams der Universitäten Mainz, Helsinki, Bern und Leiden gemeinsam den Tel Kinrot, den Ort des biblischen Kinneret. Die Ruinenstätte liegt am Nordwestufer des See Gennesaret in großer Nähe zu den neutestamentlichen Orten Magdala und Kapernaum. In diesem größten europäischen Grabungsprojekt in Israel, an dem in diesem Jahr 70 Studierende und Forscher aus insgesamt 14 Nationen beteiligt sind, gelang es jetzt, für die Eisenzeit I (1150 – 950 v.Chr.) nachzuweisen, dass es sich bei den Ruinen um eine Stadt mit einem höchst differenzierten Leben der antiken Bewohner handelt. Damit unterschiedet sich dieser Ort völlig von den sonstigen Ortslagen im Land.

Alle großen Städte des Landes wurden um 1200/1175 v. Chr. aufgegeben und verlassen. Der Grund hierfür war vor allem der Zusammenbruch des internationalen Handels, der in dem relativen armen Gebiet der südlichen Levante vorher zu einem gewissen Wohlstand geführt hatte. An Stelle der Großstädte wie Hazor und Lachisch wurden im 12. Jh. v.Chr. kleine Dörfer im Bergland gegründet, die sich weitgehend selbst versorgten und nicht mehr den arbeitsteiligen Prozess fortsetzten. In diesen kleinen Ortschaften sieht die derzeitige Forschung einen Kern des späteren Staates Israel, der von David und Salomo im 10. Jh. v.Chr. aufgebaut wurde.

Differenziertes Stadtleben

„Angesichts der allgemeinen Fundsituation im ganzen Land stellen unsere Befunde eine kleine Sensation dar,“ meint Stefan Münger, einer der Grabungsleiter. „Wir werden in diesem Jahr unsere Arbeiten an den früheisenzeitlichen Schichten abschließen und können eine sehr entwickelte Stadt in dieser Epoche nachweisen.“ Insgesamt wurden inzwischen zwei großflächige Felder mit je etwa 1.000 Quadratmeter Fläche freigelegt, die einen sehr anschaulichen Einblick in das alltägliche Leben der Stadt zur Zeit der Richter und der ersten Könige Israels und Judas bieten.

„Einen Gebäudekomplex interpretieren wir als Bäckerei, denn wir haben dort allein drei Backöfen, Mühlsteine zur Getreideverarbeitung und vermutlich Getreidereste gefunden,“ ergänzt Münger. Auch ansonsten war das Leben hoch organisiert in dieser Stadt, die immerhin rund zehn Hektar groß war und in der früher rund 2.500 Menschen gelebt haben dürften. In einem Haus gab es eine Olivenpresse, in einem anderen vielleicht eine Gerberei. Der Stadtplan ist außerordentlich gut geplant. Die Straßen verlaufen jeweils schräg zum Hang, um das Wasser bei Regenfällen zum See hin abzuleiten. Die massive Stadtmauer mit bis zu 12,3 Metern Stärke machte die Ortslage fast uneinnehmbar. Die Stadt scheint stark vom Handel gelebt zu haben, denn an Hand der Keramik lassen sich Beziehungen vor allem nach Phönizien und Syrien, aber auch nach Zypern und selbst nach Ägypten nachweisen.

Erdbeben und Feuer konservierten Alltagsleben

„Wir haben das große Glück, dass die Stadt durch ein Erdbeben und ein damit verbundenes Feuer völlig zerstört wurde und so das tägliche Leben in der Eisenzeit I bestens konserviert ist,“ ergänzt Juha Pakkala, ebenfalls Grabungsleiter auf diesem Siedlungshügel. „Es gibt wohl kaum einen anderen Ort, an dem man dies so gut rekonstruieren kann wie hier. Wir sind hier in einer Zeit, in der man kaum auf Schriftfunde hoffen kann. Daher müssen wir den Alltag der Menschen allein an Hand der Funde und Befunde rekonstruieren.“ Diese machen es wahrscheinlich, dass die Stadt eine wichtige Rolle innerhalb der sich allmählich etablierenden aramäischen Staaten bildete und in jener Zeit nicht zu Israel gehörte. Im 10. Jh. v.Chr. wurde die Stadt dann zerstört und für mehr als hundert Jahre verlassen.

Das Kinneret Regional Project will seine Untersuchungen auf dem Siedlungshügel, aber auch in der Umgebung noch mehrere Jahre weiterführen, um die Kulturgeschichte der Region am Nordwestufer des See Gennesarets besser verstehen zu können. Hierzu gehören auch landschaftsarchäologische Untersuchungen, in denen die Großregion um den See herum untersucht wird. Neben der Weiterarbeit in Tell Kinrot sind auch kleinere Ausgrabungen an anderen Orten der Kleinregion geplant.

(Universität Mainz, 28.08.2007 – NPO)

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