Tsunamis stellen die Wissenschaftler noch immer vor große Rätsel. Auch wenn inzwischen in groben Zügen geklärt ist, wie sich die Todeswellen aufbauen und übers Meer bewegen, so beruhen doch alle Modelle bislang auf groben Näherungswerten. Insbesondere der Einfluss der enormen Sedimentfracht auf das Verhalten der tödlichen Wellen ist bislang kaum geklärt. Ein Forscherteam der Universität Münster nimmt derzeit in Indonesien entsprechende Messungen vor.
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„Alle bisherigen Rechnermodelle operieren mit reinem Wasser“, erklärt
Heinrich Bahlburg vom Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Münster. „Dabei werden in einer solchen Welle beim Auflaufen auf die Küste auch viele Sedimente transportiert, die das Verhalten entscheidend beeinflussen.“ Um die resultierenden Ablagerungen in natura zu untersuchen und betroffene Küsten zu vermessen, reiste Bahlburg mit seinem Mitarbeiter Robert Weiß für drei Wochen nach Indien und Kenia.
30 Prozent Feststoffe
„Wir brauchen realistische Daten, um die bisherigen Auflaufmodelle um den Sedimenttransport ergänzen zu können“, erläutert Bahlburg das Ziel der DFG-finanzierten Reise. In Pondicherry, zwei Autostunden südlich des indischen Madras, und in der Nähe des kenianischen Malindi nahm er Strandproben und untersuchte, welche Sedimente wie weit vom Wasser mitgerissen wurden. „Bei Pondicherry stieg das Meer um rund dreieinhalb Meter. 20 bis 30 Prozent der Flut bestanden vermutlich aus Feststoffen“, verdeutlicht Bahlburg die Bedeutung dieses bisher vernachlässigten Aspektes.
„Tsunamis sind so ungeheuer schnell, dass bei der Aufnahme der Sedimente im Meer nur relativ geringe Energiemengen verbraucht werden. Aber trifft die Welle dann die Küste, wird die zerstörerische Kraft des Wassers durch die mitgebrachten Feststoffe erheblich verstärkt“, so der Geologe. Wer also abschätzen will, welche Gefahr von einem Tsunami ausgeht, muss auch vorhersagen können, welche Sedimente in welcher Menge transportiert werden.
Sedimente im Visier
Viele Variablen spielen dabei eine Rolle: die Morphologie der Küste beispielsweise ebenso wie die Art und Größe der Feststoffe, da je nach Beschaffenheit unterschiedlich viel Energie beim Transport verloren geht. Und umgekehrt lässt sich aus den Ablagerungen am Strand Bewegung und Gewalt der Welle erschließen. Beim indischen Pondicherry brach die Welle fast ungehindert über den flachen Strand herein. Die schräge Schichtung von helleren und dunkleren Quarzsanden zum Beispiel verrät, dass die bis zu 15 Zentimeter starken Ablagerungen in strömendem Wasser entstanden sind, eine unebene Basis, dass das Wasser noch genügend Wucht hatte, um erst altes Sediment fortzutragen und darüber neues abzulagern. In Pondicherry lief das Wasser fast 600 Meter auf die Küste auf, bei Malindi in Kenia hingegen bei etwas steilerem Strand nur noch etwa 25 Meter.
Die zusammengetragenen Erkenntnisse dienen nun als Eichdaten der numerischen Modelle, die Bahlburg und Weiß seit sechs Jahren entwickeln. Ihr ursprüngliches Interesse galt nicht aktuellen Tsunamis, die wie der vor vier Monaten durch ein plattentektonisches Beben ausgelöst wurden. Sie untersuchten die Entstehung von Wellen nach einem Meteroriteneinschlag wie dem Chicxulub-Impakt im Golf von Mexiko vor rund 65 Millionen Jahren, der nach Ansicht einiger Wissenschaftler für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich ist.
„Mit unseren Modellen versuchen wir nachzuvollziehen, was passiert ist. Wir simulieren einen Tsunami, wie er damals entstanden sein könnte und überprüfen, ob die Ergebnisse mit den tatsächlich gefundenen Ablagerungen übereinstimmen.“ Die Ereignisse in der Urzeit lassen sich auch auf die Gegenwart übertragen: „Durch die Katastrophe im Dezember haben unsere Forschungen eine andere Dimension bekommen, denn unsere Simulationen können auch auf Tsunamis angewendet werden, die durch Erdbeben oder submarine Rutschungen hervorgerufen worden worden sind“, betont Bahlburg die Aktualität seiner Untersuchungen.
Bis Ende dieses Jahres sollen die empirischen Daten in die numerischen Modelle eingearbeitet sein. „Wir erhalten so ein Modell, das je nach den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden kann“, erklärt Bahlburg. „Man wird nie einen Tsunami verhindern können, aber wir können dazu beitragen, hinsichtlich des Küstenschutzes realistischere Voraussagen zu treffen und damit besser warnen zu können.“
(Westfälische Wilhelms-Universität Münster – idw, 19.04.2005 – AHE)