Der Ausbruch des Santorini-Vulkans vor 3.600 Jahren war trotz seiner weitreichenden Folgen kleiner als bisher angenommen: Die Eruption schleuderte „nur“ rund 35 Kubikkilometer Magma aus statt wie bisher geschätzt rund 86 Kubikkilometer. Das zeigen Analysen, bei denen Forscher erstmals Daten zu allen ausbruchsbedingten Effekten miteinbezogen – von der ausschleuderten Asche über Lava und pyroklastische Ströme bis hin zum Einbrechen der Caldera am Meeresgrund. Dies hilft dabei, das Risiko solcher Eruptionen zu präzisieren.
Der Ausbruch des Santorini-Vulkans in der Ägäis war eine der größten Katastrophen der europäischen Bronzezeit. Die mehrphasige Eruption zerriss vor rund 3.600 Jahren die Insel Thera – heute Santorini – und verteilte Asche und vulkanisches Material über dem gesamten östlichen Mittelmeerraum. Pyroklastische Ströme und der Kollaps der Caldera lösten Tsunamis aus, die die umliegenden Küsten überfluteten. Der Ausbruch war vermutlich mitschuld am Untergang des Minoer-Reichs.
„Ein blinder Fleck“
Doch trotz der verheerenden Folgen und der großen kulturellen Bedeutung der Santorini-Eruption ist ihr Ausbruchsvolumen bisher unklar. Denn bei solchen Inselvulkanen mit Calderen ist die Abschätzung des ausgeschleuderten Materials schwierig: „Bisherige Schätzungen beruhten entweder auf dem Volumen der kollabierten Caldera oder auf der Kartierung der ausgeschleuderten Eruptionsprodukte – aber beide Verfahren haben Grenzen und Fehlerquellen“, erklären Jens Karstens GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und seine Kollegen.
Hinzu kommt, dass die ausgeschleuderten Materialien und oft auch die Caldera heute größtenteils unter Wasser liegen. All dies erschwert es, das tatsächliche Magmavolumen zu ermitteln und den kompletten Umfang solcher Eruptionen zu erfassen. Als Folge werden zwangsläufig auch die Risiko-Abschätzungen zu Häufigkeit und Auswirkungen von Vulkanausbrüchen bestimmter Größen ungenau. „Da haben wir einen blinden Fleck. Es ist daher unerlässlich, dass wir die Folgen großer explosiver Vulkanausbrüche genauer einschätzen lernen“, so Karstens.
Eruptionsvolumen nach unten korrigiert
Deshalb haben die Geoforscher sich den bronzezeitlichen Santorini-Ausbruch und seine Überreste nun noch einmal genauer angeschaut. Für ihre Studie führten sie mit dem Forschungsschiff „Poseidon“ seismische Messungen im Umfeld von Santorini durch, durch die die Schichten vulkanischer Ablagerungen im Meeresgrund und die Strukturen der Caldera sichtbar wurden. Zusätzlich gewannen sie 41 Bohrkerne vom Meeresgrund, die genaueren Aufschluss über die Dicke der Ascheablagerungen lieferten.
Die Kombination dieser Daten ermöglichte es Karstens und seinem Team erstmals, die Menge der verschiedenen bei der Santorini-Eruption zutage geförderten Eruptionsprodukte genauer zu beziffern. „Unseren Ergebnissen nach lag das gesamte Eruptionsvolumen bei rund 35 Kubikkilometer Material“, berichten die Forschenden. Davon wurden 21,4 Kubikkilometer über Ascheregen und ausgeschleuderte Lavabrocken als Tephra abgelagert, 6,9 Kubikkilometer wurden bei pyroklastischen Strömen frei und liegen als verfestigte Ignimbrite vor. Weitere 6,1 Kubikkilometer Magma fielen beim Kollaps der Vulkan-Caldera an.
Wichtig für Risikoeinschätzung
„Damit ist die Santorini-Eruption einer der wenigen großen Vulkanausbrüche im Holozän, bei denen es Mengenabschätzungen für alle Eruptionsprodukte gibt“, konstatieren Karstens und sein Team. Gleichzeitig sprechen ihre neuen Daten dafür, dass der bronzezeitliche Ausbruch des Mittelmeervulkans kleiner gewesen ist als in einigen früheren Schätzungen angenommen. Das neu ermittelte Ausbruchsvolumen ist mit rund 35 Kubikkilometer nicht einmal halb so groß wie die bisher geschätzten 86 Kubikkilometer.
Das ist in gleich mehrerer Hinsicht relevant: Zum einen legt dies nahe, dass auch andere bisher nur auf Basis ihrer Caldera vermessene Vulkanausbrüche überschätzt worden sind – darunter auch der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815. Zum anderen zeigt dies, dass die Santorini-Eruption im Verhältnis zu ihrer Größe heftigere Auswirkungen hatte als bisher angenommen. Und zu guter Letzt hilft das neue Resultat auch dabei, die Häufigkeit von Vulkanausbrüchen bestimmter Größenordnungen besser abuzuschätzen.
„Um das Risiko globalwirksamer Eruptionen besser abschätzen zu können, ist es notwendig zu wissen, wie häufig Eruptionen einer bestimmten Größe vorkommen“, erklärt Karstens. „Die Grundlage hierfür sind möglichst präzise Volumenberechnungen. Dazu haben wir mit unserer Studie zur Minoischen Eruption einen wichtigen Teil beigetragen.“ (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-38176-3)
Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel