Auf dem Kopf stehende Landschaft: Die Unterseite der antarktischen Schelfeise ist überraschend komplex strukturiert und zeigt einige unerwartete Formationen, wie die Sonarkartierung durch einen Tauchroboter enthüllt. Neben Rissen und von Strömungen ausgehöhlten Kavernen zeigten die Aufnahmen auch bis zu 70 Meter lange dünenförmige Senken, außerdem gewundene „Flüsse“ und Terrassen mit steilen Kanten. Einige dieser Formationen seien nie zuvor gesehen worden, so das Team in „Science Advances“.
Die schwimmenden Schelfeise der Antarktis sind wichtige Puffer zwischen Meer und Gletschern. Die hunderte Meter dicken Eisschichten wirken als Bremse für die großen Eisströme aus dem Inland und schützen ihre Fronten vor dem wärmeren Meerwasser. Doch gerade dieses Wasser lässt die Schelfeise und schwimmenden Gletscherzungen schwinden und höhlt sie von unten her aus. Durch Risse im Schelfeis brechen immer wieder riesige Tafeleisberge ab.
Tauchgang unter das Schelfeis
Doch wie sieht die Unterseite der schwimmenden Eispanzer aus? Um das herauszufinden, hat ein Team um Anna Wåhlin von der Universität Göteborg einen autonomen Tauchroboter unter das Eis geschickt. Der AUV tauchte 17 Kilometer weit in eine Kaverne unter dem Dotson-Schelfeis in der westantarktischen Amundsensee und kartierte die Eisunterseite dabei mit einem Multibeam-Sonar. Parallel dazu zeichneten Sensoren Temperaturen, Strömung und Salzgehalt des Meerwassers unter dem Schelfeis auf.
„Es ist ein wenig wie der erste Blick auf die Rückseite des Mondes“, berichtet Wåhlin. „Zuvor hatten wir nur Satellitendaten und Eisbohrkerne. Indem wir nun den Tauchroboter in die Schelfeis-Kaverne steuerten, erhalten wir nun auch hochauflösende Karten der Eisunterseite.“ Einige der Aufnahmen zeigten Erwartbares: Im westlichen Schelfeisteil, wo starke Strömungen die Eisunterseite prägen, ist die Eisunterseite eher glatt und zeigt im Umfeld der großen Risse erhöhte Schmelz- und Erosionsraten.
Auf dem Kopf stehende Landschaft
Doch in anderen Bereichen des Schelfeises enthüllte die Kartierung eine unerwartete Fülle an zuvor unbekannten Strukturen auf der Unterseite des Schelfeises – wie eine auf dem Kopf stehende Landschaft. So gibt es dort umgekehrte Plateaus und Terrassen, die 200 bis 2.000 Meter breit und lang sein können und bis zu fünf Meter hoch aufragen. „In Region R1 kombinieren sich fünf bis zehn solcher Terrassen zu fünf bis 40 Meter tiefen Strukturen“, berichten Wåhlin und ihr Team.
Auch gewundene, flussähnliche Strukturen und Kanäle zeigte die Kartierung an der Eisunterseite. „Wir hatten schon zuvor erste Hinweise darauf, dass die Basis der Schelfeise komplexer sein könnte als gedacht. Aber der Tauchroboter hat uns ein vollständigeres und umfangreicheres Bild davon geliefert“, sagt Koautorin Karen Alley von der University of Manitoba.
„Dünen“ unter dem Eis
Besonders überraschend waren große, dem Abdruck einer Düne ähnelnde Gebilde auf der Eisunterseite. „Diese tränenförmigen Senken haben eine Breite von 20 bis 170 Metern und eine Höhe von zwei bis 50 Metern, berichten die Forschenden. Die mehr als 75 Exemplare dieser umgekehrten Eisdünen zeigen zudem eine bemerkenswerte Selbstähnlichkeit: Typischerweise haben sie eine steile, gerundete Vorderseite und ein flacheres, länger ausgezogenes Ende – wie viele Sanddünen in irdischen Wüsten.
Die Forschenden vermuten, dass diese dünenartigen Senken durch eine asymmetrische, spiralförmige Umlenkung der subglazialen Wasserströmungen erzeugt werden. Dabei bewirkt die von der Erdrotation angetrieben Corioliskraft eine seitliche Ablenkung der Strömungen und erzeugt eine sogenannte Ekman-Spirale. Diese spiraligen Turbulenzen formen dann durch ihre Erosion die Dünen und auch spiralige Muster an den Seiten der großen Eisterrassen, wie Wåhlin und ihre Kollegen erklären.
Offene Fragen und ein verschwundener Tauchroboter
Dennoch bleiben einige Fragen offen. „Die Kartierung hat uns eine Menge nur Daten geliefert, die wir uns nun genauer anschauen müssen“, sagt Wåhlin. „Es ist aber schon jetzt klar, dass viele frühere Annahmen über das Tauen der Gletscherunterseiten zu kurz greifen. Gängige Modelle können die komplexen Muster, die wir hier sehen, nicht erklären.“ Hier seien weitere Kartierungen und Tauchmissionen nötig.
Ihr Tauchroboter „Ran“ ist allerdings verschollen: Er verschwand 2024 während eines der Tauchgänge unter das Dotson-Schelfeis spurlos. „Dadurch haben wir noch nicht alle Daten erhalten, die wir uns erhofft hatten“, so Wåhlin. „Wir hoffen nun, dass wir Ran ersetzt bekommen und dann diese wichtige Arbeit fortsetzen können. Denn dies ist nötig, um die Zukunft des antarktischen Eisschilds zu verstehen.“ (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adn9188)
Quelle: University of Gothenburg, University of East Anglia