Ausnahmezustand Hochwasser: Deiche, Wehranlagen, Sandsäcke und Buhnen – nur mühsam lässt sich der entfesselte Fluss in seinem zugewiesenen Bett halten. Mancherorts sucht sich das Wasser sogar wild tosend und gurgelnd seinen eigenen Weg und hinterlässt eine schlammige Spur der Verwüstung. An vielen Stellen haben die Behörden mittlerweile aus den Katastrophen-Hochwassern von Elbe, Rhein, Oder und Co. gelernt. Doch Forscher des Helmholtz-EOS wollen die bestehenden Frühwarnsysteme mithilfe der Fernerkundung weiter verbessern und auch auf die Nebenflüsse großer Ströme ausweiten.
Trotz der Erfahrungen der letzten verheerenden Hochwasser wird das Ausmaß der Bedrohung vielerorts noch unterschätzt. So sind die bestehenden Systeme der Hochwasserwarnung häufig nur teilweise in Betrieb oder technisch verbesserungswürdig. Nur selten existiert ein umfassendes Sicherheitskonzept, dass sich nicht nur an der Schadenshöhe der zuletzt aufgetretenen Hochwasser orientiert, sondern alle möglichen Risiken einkalkuliert. So scheiterte beispielsweise die Kopplung des Elbe-Frühwarnsystems an eine meteorologische Niederschlagsvorhersage bislang an behördlichen Hürden, da die sieben angrenzenden Bundesländer sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten.
Satelliten sehen mehr
Hierin sehen die Wissenschaftler des “Integrated Earth Observing System (EOS)” der Helmholtz-Gesellschaft enormen Verbesserungsbedarf. Im Forschungsprojekt „Informationsmanagement, Simulation und Frühwarnung für Hochwasserkatastrophen“ sollen die bereits bestehenden Frühwarnsysteme durch satelliten-, flugzeug- und bodengestützte Sensoren weiter verbessert werden. Denn im Ernstfall kommt es nicht nur auf eine schnelle Reaktion der Einsatzkräfte sondern auch auf die Genauigkeit der vorliegenden Katastrophenpläne an.
So werden am Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) vorsorglich Fernerkundungsdaten auch rund um das Thema Hochwasser archiviert, um im Ernstfall rasch helfen und nach einer Katastrophe Wiederaufbaumaßnahmen unterstützen zu können. Gerade in entlegenen Gebieten oder Entwicklungsländern existiert selten genaues Kartenmaterial über das Gewässernetz oder das Relief, so dass im Notfall die hochaufgelösten Satellitenbilder wertvolle Dienste leisten können. „Satelliteninformationen helfen aber nicht nur bei der Notfallkartierung“, sagt Stefan Dech, Direktor des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums, „vielmehr sind gerade auch die präventive Kartierung gefährdeter Regionen sowie die Nachsorge wichtige Elemente unseres ZKI“.
Schwierige Vorhersage
Doch die Vorhersage von Hochwasser ist wissenschaftlich gesehen alles andere als unkompliziert. Denn die Formel „viel Niederschlag verursacht Hochwasser“ stimmt zwar in vielen Fällen, doch für eine zuverlässige Vorhersage reicht dies allein nicht aus. So gehören in ein umfassendes Simulationsmodell weitere Faktoren wie die Einzugsgebietshydrologie oder die hydraulischen Prozesse in den Flüssen. Auch die Überflutungsflächen, das Verhalten von Schutzanlagen wie Deichen und Hochwasserrückhaltebecken sowie Ansätze zur Abschätzung der Folgen von Überschwemmungen müssen berücksichtigt werden.
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So wird derzeit beispielsweise im polnischen Wroclaw für die Oder ein Frühwarnsystem aufgebaut, welches ein Niederschlagsmodell mit einem Wasserabflussmodell für die Nebenflüsse des Odereinzugsgebietes verknüpft. Die Forscher erhoffen sich so Aufschluss über die komplexen Zusammenhänge zwischen Niederschlagsverteilung, Abflussverhalten der Geländeoberfläche und der Wasserführung der Flüsse. Mit solch einem Modellsystem können sie vor allem Szenarien zukünftiger Hochwasserkatastrophen durchspielen und Schwachstellen im System der Schutzanlagen und Katastrophenpläne entdecken. Denn umso genauer alle relevanten Faktoren erfasst sind, desto frühzeitiger und detaillierter können im Ernstfall die Warnungen vor dem Scheitelpunkt einer Flutwelle herausgegeben werden.
Pegel im Durchfluss
Um die Genauigkeit der kurzfristigen Vorhersage von Pegelständen zu verbessern, wollen die Forscher auch die Durchflussraten des Wassers neu vermessen. Denn diese Angaben stammen häufig noch aus historischen und inzwischen veralteten Tabellen. So haben sich aufgrund baulicher Maßnahmen oder Vegetationsänderungen die Durchflussraten des Wassers inzwischen vielerorts verändert und stellen somit einen Unsicherheitsfaktor in den derzeitigen Hochwassermodellen dar.
Sowohl das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ), das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) als auch das GKSS-Forschungszentrum Geesthacht ziehen in diesem Projekt gemeinsam an einem Strang. Auch in anderen Arbeitsfeldern des Helmholtz-EOS funktioniert diese Kooperation der großen deutschen geowissenschaftlichen Institute. Weitere Schwerpunktthemen im Rahmen des Katastrophenmanagements sind „Küstendesaster: Analyse und Warnung bei Sturmfluten und Schiffsunfällen“, „Megacities: Wissenschaftliches Know-how für Katastrophenminderung“, „Monitoring von Feuer- und Vulkanereignissen“ und „Kriseninformationssysteme“.
(Helmholtz-EOS, 25.05.2005 – AHE)