Archäologie

Schon die alten Nubier nutzten Antibiotika

Tetracyclin im Bier keine zufällige Kontamination, sondern gezielte Heilmittel-Produktion

Grünes Leuchten enthüllt Tetracyclin © Emory University

Antibiotika sind keine Erfindung der Neuzeit: In Nubien konsumierten Menschen schon vor gut 2.000 Jahren regelmäßig Tetracyclin, das in ihrem Bier enthalten war. Eine neue Analyse von Mumienknochen belegt jetzt, dass dessen Antibiotikagehalt kein Zufall war, sondern tatsächlich gezielt und regelmäßig durch Einsatz von bodenlebenden Bakterien beim Brauprozess erzeugt worden sein muss.

Im Jahr 1980 entdeckte der Anthropologe George Armelagos von der Emory Universität etwas Ungewöhnliches, als er Mumien aus dem Sudan untersuchte. In den Knochen der aus dem Jahr 350 bis 550 vor Christus stammenden Vertreter des alten Königreichs der Nubier, fand er Spuren von Tetracyclin, einem heute sehr gebräuchlichen Antibiotikum. Der Bioarchäologe ging der Sache nach und suchte nach der Quelle für den Wirkstoff in Nahrung und Getränken der Nubier – keine leichte Aufgabe, da von dieser Kultur keinerlei schriftliche Zeugnisse existieren.

Tetracyclin im Bier: Absicht oder bloßer Zufall?

Schließlich gelang es Armelagos und seinen Kollegen, die Quelle des Antibiotikums im Bier der Nubier zu lokalisieren. Das Korn, das genutzt wurde um den fermentierten Getreidebrei für das Malz herzustellen, enthielt Bodenbakterien der Gattung Streptomyces. Sie sind dafür bekannt, Tetracyclin zu produzieren. Die Schlüsselfrage für den Forscher war nun jedoch, ob es sich dabei um eine versehentliche Kontamination handelte, die demnach nur bei einigen Brauprozessen auftrat, oder aber eine gezielte Maßnahme seitens der Nubier.

Um diese Frage zu klären, zog Armelagos den Medizinchemiker Mark Nelson von Paratek Pharmaceuticals hinzu, einen der führenden Experten zu Tetracyclin und anderen Antibiotika. „Ich bat ihn, mir einige Mumienknochen zu senden, weil ich die Werkzeuge und Erfahrung hatte, das Tetracyclin zu extrahieren“, so Nelson. „Das ist ein ziemlich unangenehmer Prozess. Ich musste die Knochen in Hydrogenfluorid auflösen, einer der stärksten Säuren der Erde.“

Tetracyclin-Überreste als gelber Film im Kolben © Emory University

Hohe Dosen selbst in Kinderknochen

Doch die aufwändige Prozedur lohnte sich. Denn die Ergebnisse waren eine Sensation: „Die Knochen dieses alten Volkes waren mit Tetracyclin nur so gesättigt, sie mussten es seit langer Zeit genommen haben“, erklärt der Chemiker. „Ich bin davon überzeugt, dass sie die Kunst der Fermentation unter Kontrolle hatten und den Wirkstoff bewusst erzeugten.“ Selbst die Schienbeinknochen und der Schädel eines mumifizierten vierjährigen Kindes waren voller Tetracyclin. Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass es hohe Dosen des Antibiotikums erhielt, um es von einer Krankheit zu heilen.

Wissen um Heilmittel im Nahen Osten verbreitet

„Wir neigen dazu, Arzneimittel, die Krankheiten heilen, mit moderner Medizin zu assoziieren”, erklärt Armelagos. „Aber es wird immer klarer, dass diese prähistorische Population empirische Beobachtungen nutzte, um therapeutische Wirkstoffe zu entwickeln. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie genau wussten, was sie taten.“ Auch von den alten Ägyptern und Jordaniern ist bekannt, dass sie Bier nutzen, um Gaumenkrankheiten und andere Erkrankungen zu kurieren. Offenbar war die Kunst der Antibiotikaherstellung bei der Fermentation bei den Kulturen dieser Region weit verbreitet und wurde über Generationen weitergegeben.

Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, wie viel Antibiotikum die Menschen damals zu sich nahmen. „Jetzt werden wir die Tetracyclinmenge in den Knochen mit Knochenbildung und -wachstum in Beziehung setzen, um die Dosierung zu bestimmen, die die alten Nubier über das Bier erhielten.“

(Emory University, 06.09.2010 – NPO)

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