Die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten schwindet: Sechs von neun Grenzen der planetaren Belastbarkeit sind überschritten – zwei mehr als noch 2015, wie eine neue Bilanz enthüllt. Überschritten sind demnach die planetaren Grenzen bei der globalen Erwärmung, der Biosphäre, der Entwaldung, den Stickstoffkreisläufen, den Schadstoffen und für das Süßwasser. Der Druck auf diese Erdsysteme und Kreisläufe wächst zudem immer mehr. Es drohen schwerwiegende und teilweise unumkehrbare Veränderungen der planetaren Systeme, warnen die Forschenden in „Science Advances“.
Das System Erde ist zwar robust, aber seine Belastbarkeit hat Grenzen. Werden diese überschritten, pendeln sich Prozesse und Kreisläufe in ein neues Gleichgewicht ein – mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt. Wo diese Grenzen der Belastbarkeit liegen, haben Wissenschaftler im Jahr 2009 erstmals definiert. 2015 waren einer ersten Erhebung zufolge schon vier der neun planetaren Grenzen überschritten, darunter Klimawandel, Artenvielfalt, Landnutzung und die Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe.
„Fiebermessen“ im Erdsystem
Jetzt haben Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen und ihr Team erneut den Status der neun planetaren Systeme überprüft. Parallel dazu gelang es ihnen, die zuvor noch nicht oder zu ungenau bestimmten planetare Grenzen für den Eintrag von Schadstoffen und Kunststoffen, die Aerosolbelastung der Atmosphäre und das Süßwasser präziser zu quantifizieren. Als weiteres Novum wurde eine neue Kontrollvariable für die Integrität der Biosphäre eingeführt.
Die Überprüfung des Erdzustands ergab: Inzwischen sind sechs der neun planetaren Grenzen überschritten – Klima, Biosphäre, Entwaldung, Schadstoffe, Stickstoffkreisläufe und Süßwasser. „Das Generalupdate der planetaren Grenzen zeigt deutlich: die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, sagt Koautor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen.“
So sieht der Zustand bei Klima und Biosphäre aus
Konkret zeigte sich: Beim Klimawandel liegt die planetare Belastungsgrenze den Modellen zufolge bei einem CO2-Wert von 350 ppm und einen Strahlungsantrieb von einem Watt pro Quadratmeter. Real liegt der CO2-Gehalt der Atmosphäre jedoch schon bei 415 ppm, der Energieeintrag ins Erdsystem bei 2,91 Watt pro Quadratmeter, wie Richardson und ihr Team berichten. In der Biosphäre sind sowohl die genetische Vielfalt als auch die für die Funktion der Lebenswelt nötigen Ressourcen unterschritten. Bei der Veränderung der Landsysteme liegt die Entwaldung über der kritischen Schwelle.
„Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten“, sagt Koautor Wolfgang Lucht vom PIK. „Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden und vieles mehr. Unsere Forschung zeigt, dass in Zukunft beides Hand in Hand gehen muss: die globale Erwärmung begrenzen und eine funktionierende Biosphäre erhalten.“
Klare Überschreitungen auch bei Stoffkreisläufen, Schadstoffen und Süßwasser
Deutliche Überschreitungen der Belastungsgrenzen gibt es auch bei den Stoffkreisläufen: Den Analysen zufolge werden aktuell rund 22,6 Millionen Tonnen Phosphor pro Jahr über die Flüsse ins Meer gespült und gehen damit verloren, die Grenze liegt bei rund elf Millionen Tonnen pro Jahr. Beim Stickstoff werden zurzeit rund 190 Millionen Tonnen jährlich durch industrielle und andere anthropogene Prozesse fixiert, die Grenze der Belastbarkeit für den irdischen Stickstoffkreislauf liegt dagegen bei 62 Millionen Tonnen pro Jahr, wie die Forschenden berichten.
Beim Süßwasser hat der Mensch die planetare Grenze sowohl durch Eingriffe in Gewässer als auch durch Störungen der Wasserverfügbarkeit für Pflanzen, beispielsweise durch Grundwasserentnahmen, überschritten. Die Überschreitung der Belastungsgrenze für den Eintrag von Schadstoffen und Plastik hatten Forschende bereits 2022 festgestellt. Noch unter den planetaren Grenzen liegen dagegen der Zustand der stratosphärischen Ozonschicht, die Versauerung der Ozeane und die Aerosolbelastung der Atmosphäre.
Warnsignal für erhöhtes Risiko
Zwar sind all diese Grenzüberschreitungen nicht unbedingt gleichbedeutend mit drastischen, sofort sichtbaren Veränderungen, dennoch markieren sie eine kritische Schwelle , wie die Forschenden betonen: „Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks. Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko“, erklärt Richardson. Ähnliches gelte für die Bereiche, in denen zwar die globale Bilanz noch im gelben oder grünen Bereich liege, es aber regionale Überschreitungen gebe.
Das Team sieht in der nun klareren Bezifferung der neun planetaren Grenzen aber auch einen wichtigen Fortschritt. „Es ist ein echter Durchbruch, dass wir den sicheren Handlungsraum für die Menschheit auf der Erde nun wissenschaftlich quantifiziert haben“, sagt Rockström. „Dies gibt uns einen Leitfaden in die Hand für notwendige Maßnahmen und liefert das erste vollständige Bild der Kapazitäten unseres Planeten, den von uns erzeugten Druck abzufedern.“ (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.adh2458)
Quelle: Universität Kopenhagen, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung