Um in das Innere der Erde zu blicken, waren Seismologen lange Zeit entweder auf natürliche Erdbeben angewiesen oder mussten teure Hilfsmittel in Anspruch nehmen, um künstlich die entlarvenden Wellen zu erzeugen. Jetzt haben amerikanische Wissenschaftler eine neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe sich schnellere, billigere und klarere Bilder aus dem Erdinneren gewinnen lassen. Ihre Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science veröffentlicht.
Anstatt auf Erdbeben zu warten haben die Forscher der Universität von Colorado in Boulder eine Art normales seismisches Hintergrundrauschen genutzt: Oberflächenwellen, die durch natürliche Fluktuationen in der Erdatmosphäre und den Ozeanen entstehen. „Diese neue Technik wird uns zu einem besseren fundamentalen Verständnis des Planeten verhelfen indem es das Erdinnere in viel höherer Auflösung zeigt“, erklärt Michael Ritzwoller, Leiter des Zentrums für die Abbildung des Erdinneren der Universität. „Es wird zudem das in der Seismologie als ‚Tyrannei der Erdbeben’ bekannte Dilemma beheben, nach dem wir immer erst auf Erdbeben warten müssen um unsere Arbeit tun zu können.“
Tomografie der Erde
Schon seit Jahren nutzen Geowissenschaftler tomografische Bilder der Erdkruste und des oberen Mantels, die aus Erdbebenwellen generiert werden. Diese so genannte seismische Tomografie rekonstruiert aus den Wellen Scheibe für Scheibe die Strukturen des Erdinneren auf einem Computerbildschirm.
Seismische Tomografie ist ähnlich wie ein CT-Scan der Erde, erklärt Ritzwoller. Doch wenn Menschen ein CT haben, können die Ärzte bestimmen, wann und wie sie eine Aufnahme machen wollen. Seismologen dagegen können nicht kontrollieren, wann ein Beben stattfindet und müssen daher entweder auf das nächste warten oder durch Explosionen ihre eigenen Wellen generieren.
Seismisches Hintergrundrauschen genutzt
Die neue Methode ist ähnlich, basiert aber auf dem normalen seismischen „Hintergrundrauschen“, von Seismologen typischerweise als „seismischer Müll“ abgetan. Dieses ist nicht nur immer vorhanden, es könnte auch deutliche Verbesserungen in der Auflösung und Genauigkeit der Krusten- und Mantelbilder bis in knapp 100 Kilometer Tiefe bringen, schätzt Nikolai Shapiro, Hauptautor der Studie.
Das neue System kann mit bestehenden Seismischen Messnetzen wie den USArray kombiniert werden. Dieses umfasst Hunderte von mobilen Seismometern, die in den Erdbebengebieten der USA verteilt stehen. In den nächsten fünf Jahren sollen für das neue EarthScope-System Tausende von neuen Messstationen eingerichtet werden, die ihre Daten in Echtzeit an die Sammelzentren schicken. Auch eine Bohrung in die San Andreas Verwerfung ist geplant.
Die neue Messtechnik könnte zu mehr Erkenntnissen über die Struktur der Erde führen und damit in Zukunft sogar Leben retten, so Ritzwoller. Und auch James Whitcomb, Leiter der National Science Foundation, die die Forschungsarbeiten gefördert hat, sieht großes Potenzial: “Die Verwendung von dem, was einst nur als ‘seismischer Müll’ galt zur detaillierten Kartierung der Kruste und des oberen Mantels wird entscheidenden Einfluss auf die Geowissenschaften und die Vorhersage von Erdbeben haben.“
(National Science Foundation, 11.03.2005 – NPO)