Museum als Datenquelle: Die gemalten Sonnenuntergänge großer Meister spiegeln verblüffend genau den Zustand der Atmosphäre zu ihrer Zeit wider. Der Rot-Grün-Anteil in den Himmelsdarstellungen gibt Aufschluss über die Verschmutzung der Luft mit Vulkanasche, Staub oder Schadstoffen. Sie liefern damit Forschern wertvolle Daten auch aus Zeiten, in denen es noch keine Messinstrumente gab.
Als der indonesische Vulkan Tambora im Jahr 1815 ausbrach, waren die Folgen wenig später selbst auf der anderen Seite der Erde sichtbar: Die Vulkanasche und Schwebteilchen der Eruption hatten sich in der Atmosphäre verteilt und sorgten selbst in Europa für spektakulär rotgefärbte Sonnenuntergänge. Einer der Künstler, der diese Farbenpracht in seinen Gemälden für die Nachwelt festhielt war der englische Maler William Turner. Seine Sonnenuntergangs- Bilder gelten als eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Kunst auch indirekt Informationen über vergangene Veränderungen in Klima und Atmosphäre vermitteln kann.
Gemälde aus 500 Jahren Kunstgeschichte
Ob Turner ein Einzelfall war oder ob die Himmelsdarstellungen in Kunstwerken möglicherweise auch in weniger dramatischen Fällen etwas über den Zustand der Atmosphäre verraten können, haben Christos Zerefos von der Akademie Athen und seine Kollegen nun näher untersucht. „Wir wollten nach alternativen Wegen suchen, mit denen man Informationen über den Zustand der Atmosphäre auch zu Zeiten und Orten gewinnen kann, für die es keine Messwerte gibt“, erklärt Zerefos.
Für ihre Studie werteten die Forscher hunderte von Digitalfotos von Sonnenuntergangs-Gemälden aus der Zeit von 1500 bis 2000 aus. Die Idee dahinter: Aerosole in der Atmosphäre – aus Vulkanausbrüchen, aber auch durch Staubstürme oder Rauch verursacht – lassen den Himmel rötlicher erscheinen. Demzufolge müssten auch die gemalten Sonnenuntergänge immer dann leicht rötlicher ausfallen, wenn die Luft verschleierter war – wenn die Künstler in ihrer Farbgebung halbwegs genau waren. Um das zu prüfen, ermittelten die Forscher den Rot-Grün-Anteil der Bilder und verglichen diese Werte mit Messreihen zur Luftgüte, die aus Eisbohrkernen in Grönland gewonnen worden waren.
Überraschend präzise
Und tatsächlich: „Wir haben festgestellt, dass die Rot-Grün-Anteile in den gemalten Sonnenuntergängen sehr gut mit der Menge der vulkanischen Aerosole in der Atmosphäre korrelieren – und dies unabhängig vom Maler und der Stilrichtung“, berichtet Zerefos. Wenn Künstler Sonnenuntergänge malen, dann ist ihre Farbgebung offenbar selbst bei eher abstrakten Gemälden relativ treffend und kann wertvolle Umweltinformationen liefern.
Sogar die seit der Industrialisierung zunehmende Luftverschmutzung ließ sich an winzigen Verschiebungen im Rot-Grün-Anteil der zu diesen Zeiten entstandenen Gemälde ablesen, wie die Forscher berichten. „Aus den Bildern ergibt sich ein Anstieg der optischen Dichte von 0,15 in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf 0,20 am Ende des 20. Jahrhunderts“, so die Wissenschaftler.
Live-Experiment
Ein Live-Experiment bestätigte die Farbtreue von erfahrenen Malern: Die Forscher baten den bekannten griechischen Künstler Panayotis Tetsis, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen den Sonnenuntergang auf der Insel Hydra in der Ägäis zu malen. Was der Künstler nicht wusste: Während am ersten Tag die Luft klar war, zog am zweiten Tag eine Wolke von aufgewirbeltem Saharastaub zwischen Maler und Sonne vorüber.
Die Wissenschaftler ermittelten mit Hilfe von Messinstrumenten die optische Dichte der Atmosphäre an beiden Tagen und verglichen diese Werte anschließend mit dem Rot-Grün-Anteil der beiden Gemälde. Wie sich zeigte, zeigte sich die Korrelation zwischen rötlicherer Himmelsdarstellung und Schwebstoffgehalt der Luft auch hier. Und das Maß der Farbverschiebung stimmte gut mit der schon bei den anderen Bildern beobachteten überein.
Nach Ansicht der Forscher belegen ihre Ergebnisse, dass sich große Meister der Kunstgeschichte durchaus als Helfer bei der Atmosphärenforschung eignen. Immerhin 25 Abstufungen der optischen Dichte ließen sich aus den gemalten Sonnenuntergängen entnehmen – und diese passten gut zu den realen Messwerten. Solche ungewöhnlichen Hilfsmittel können daher wertvolle Informationen über den Zustand des Klimas und der Atmosphäre an für Messinstrumente unzugänglichen Orten liefern. (Atmospheric Chemistry and Physics, 2014; doi: 10.5194/acpd-13-33145-2013)
(European Geosciences Union (EGU), 25.03.2014 – NPO)