Die Vorfahren der heutigen Europäer sind nicht die Ackerbauern, die vor etwa 7.500 nach Europa eingewandert sind, wie bisher angenommen, sondern wahrscheinlich steinzeitliche Jäger, die schon seit 40.000 Jahren in Europa ansässig waren. Das ist das Ergebnis von DNA-Vergleichen im Rahmen einer Studie, die jetzt in Science erschienen ist.
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Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien die Erbsubstanz der ersten europäischen Ackerbauern untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die heutigen Europäer mit den Ackerbauern der Jungsteinzeit genetisch kaum übereinstimmen. „Unsere Ergebnisse deuten vielmehr darauf hin, dass wir Europäer von altsteinzeitlichen Sammlern und Jägern abstammen“, erläutert Juniorprofessor Dr. Joachim Burger vom Institut für Anthropologie. Das Wissenschaftsmagazin Science hat die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Frankfurt vorgestellt.
Ackerbauer oder Steinzeitjäger?
Ackerbau und Viehzucht kamen vor etwa 12.000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond auf, einem Gebiet im Norden der arabischen Halbinsel, und breiteten sich von dort über Anatolien nach Europa aus. Archäologen, Anthropologen und Genetiker haben jahrzehntelang gerätselt, ob die heutigen Europäer von diesen eingewanderten Ackerbauern abstammen oder von den Sammlern und Jägern, die zum Zeitpunkt dieser Einwanderung schon wesentlich länger, nämlich etwa seit 40.000 Jahren, in Europa ansässig waren.
Bislang wurde angenommen, dass sich mit der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht nicht nur weitere Kulturtechniken, sondern auch Erbgut und Sprache mit verbreitet haben. Kennzeichnend für den Beginn von Ackerbau und Viehzucht in Mitteleuropa vor etwa 7.500 Jahren ist die Linearbandkeramische Kultur (LBK). Es handelt sich hierbei um eine der ältesten bäuerlichen Kulturen der Jungsteinzeit, die ihren Ursprung in Ungarn und der Slowakei hatte und sich in nur 500 Jahren bis zum Pariser Becken und in die Ukraine ausbreitete.
Diese schnelle Verbreitung der Bandkeramik – der Name geht auf die Verzierung der Vorratsgefäße mit einem Bandmuster zurück – und die Tatsache, dass sich archäologischen Funde über eine riesige Fläche von fast einer Million Quadratkilometern kaum unterscheiden, könnten darauf hinweisen, dass die Verbreitung zu einem beträchtlichen Teil durch Einwanderung erfolgt ist, schreiben die Autoren in dem Science-Bericht. Andererseits lassen einige archäologische Studien vermuten, dass ortsansässige Jäger und Sammler zum Ackerbau übergegangen sind, ohne dass es zu einer nennenswerten genetischen Durchmischung mit diesen ersten Bauern gekommen wäre.
Bisher widersprüchliche Ergebnisse
Genetische Untersuchungen an heutigen Europäern erbrachten widersprüchliche Ergebnisse: Die Schätzungen über den genetischen Anteil der jungsteinzeitlichen Bauern an der heutigen Population schwanken zwischen 20 und 100 Prozent. „Eine wirklich beweiskräftige Untersuchung von DNA alter Skelette hat unseres Wissens jedoch bislang niemand veröffentlicht“, so Burger. Die von Burger und seinen Mitarbeitern vorgelegte Studie rekonstruiert erstmals mit Hilfe einer DNA-Analyse die Vorgänge bei der Einführung des Ackerbaus zu Beginn der Jungsteinzeit.
Um das Rätsel der Abstammung zu lösen, haben die Forscher 57 menschliche Skelette an 16 Plätzen der LBK-Kultur in Deutschland, Österreich und Ungarn gesammelt. Zu den Fundstellen gehören so bekannte archäologische Siedlungen wie Flomborn, Schwetzingen, Eilsleben, Asparn-Schletz, aber auch neue Ausgrabungsstätten wie Halberstadt. DNA wurde sowohl von Knochen als auch von Zähnen entnommen. Bei 24 Individuen war die DNA in einem für die Untersuchung ausreichend guten Zustand. Die Analyse erfolgte an DNA der Mitochondrien, die ausschließlich über die mütterliche Linie weitergegeben wird – damit können genetische Linien ungebrochen im Verlauf der Zeit verfolgt werden.
Weniger als 50 Europäer mit „Bauern-DNA“
Zu ihrem Erstaunen fanden Burger und sein Mitarbeiter Wolfgang Haak in den Proben einen DNA-Typ vor, der bei heutigen Europäern äußerst selten vorkommt. Dieser charakteristische und seltene N1a-Zweig fand sich bei sechs der 24 Individuen. „In der weltweiten Datenbank mit 35.000 modernen DNA-Linien weisen weniger als 50 Europäer heutzutage diesen alten Bauern-DNA-Typ auf“, erläutert der Genetiker Dr. Peter Forster von der University of Cambridge.
Computersimulationen seines Kollegen Dr. Shuichi Matsumura ergaben, dass diese ersten Bauern auf unseren heutigen Genpool nur einen begrenzten Einfluss gehabt haben können. „Daher erscheint es uns jetzt eher wahrscheinlich, dass Sammler und Jäger unsere Vorfahren waren“, schließen Burger und Haak aus den Ergebnissen. Als nächstes Forschungsziel wollen sie herausfinden, wer tatsächlich unserer Vorfahren waren und was mit den ersten Ackerbauern geschehen ist.
(Universität Mainz, 14.11.2005 – NPO)