Vögel tun es, Krokodile tun es und Dinosaurier haben es auch getan: Steine schlucken für eine bessere Verdauung. Doch nun hat ein Tübinger Wissenschaftler entgegen der bisherigen Annahme herausgefunden, dass nicht alle bei Dinosauriern gefundenen Magensteine auch tatsächlich zur Zerkleinerung der Nahrung dienten.
Gastrolithen, wie Magensteine wissenschaftlich genannt werden, dienen heute vor allem Pflanzen fressenden Vögel zur Zerkleinerung der Nahrung. Dazu verschlucken sie kleine Kiesel oder Steine, die anschließend in der „Magenmühle“ bewegt werden. So kontrahieren beispielsweise beim Strauß die großen seitlichen Muskeln den Magen etwa zwei- bis dreimal pro Minute und bereiten so im Zusammenspiel mit den Steinen die weitere Verdauung vor. Durch entsprechende Fossilienfunde ist bekannt, dass es diese besondere Technik der Nahrungszerkleinerung auch schon bei den Dinosauriern vor mindestens 140 Millionen Jahren gegeben haben muss.
Wenn das Essen wie ein Stein im Magen liegt…
Denn sowohl bei Skeletten langhalsiger sauropoder Dinosaurier, den größten Landtieren aller Zeiten mit Körpergewichten von über 50 Tonnen, als auch bei sehr kleinen Raubdinosauriern, die als direkte Vorfahren unserer heutigen Vögel gelten, wurden „Kieselsteine“ in der Magengegend gefunden. Bisher nahm man an, dass es sich hierbei durchweg um nahrungszerkleinernde Gastrolithen handeln müsste, obwohl deren eigentliche Funktion bislang nicht detailliert wissenschaftlich untersucht worden war.
Nun hat jedoch der Tübinger Paläontologe Oliver Wings herausgefunden, dass zumindest die sauropoden Dinosaurier keineswegs eine Magenmühle besessen haben. Denn weder die geringen bisher gefundenen Mengen von maximal 15 Kilogramm Magensteinen noch deren Oberflächenstruktur spricht seiner Studie zufolge für echte Gastrolithen. Zudem belegt Wings Auswertung fossiler Sauropodenskelette, dass Magensteine bei den Giganten ohnehin eher die Ausnahme als die Regel waren und wohl eher zufällig mit der Nahrung aufgenommen wurden.
Künstlichen Magen konstruiert
Wings besuchte zahlreiche Dinosaurierfundstellen in Europa, den USA sowie Argentinien und untersuchte dort die fossilen Magensteine vor Ort. Um deren Aussehen und Funktion besser verstehen zu können, entschloss sich der Paläontologe zu Feldversuchen mit Vögeln, die auch heute noch Gastrolithen einsetzen. Der Wissenschaftler beobachtete daher auf Farmen in Südafrika und Deutschland mehr als 350 Strauße und stellte fest, dass die Tiere regelmäßig Steine als Bestandteil ihrer normalen Nahrung aufnahmen. Nach dem Schlachten untersuchte Wings den Mageninhalt der Vögel und gewann so einen Einblick in die genauen Prozesse und Vorgänge des Straußenmagens. Zusätzlich baute Wings im Labor einen „künstlichen Vogelmagen“ und verglich seine Wirkungsweise auf Nahrung und Steine mit der von echten Mägen. Dies ermöglichte dem Paläontologen den Vergleich zwischen heutigen und fossilen Magensteinen.
Wings konnte zeigen, dass vor allem einige vogelähnliche Theropoden, wie beispielsweise der Pflanzen fressende Caudipteryx, ihre Magensteine zur Nahrungszerkleinerung nutzten. Denn fossilen Funde belegen, dass sie vergleichbar viele Steine im Magen hatten, wie etwa gleich große heutige Vögel. Darüber hinaus konnte Wings erstmalig dokumentieren, wie sich verschiedene Gesteine wie Quarz oder Granit durch die Bewegungen im Magen abnutzen. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für Paläontologen interessant, die die Lebensweise der Dinosaurier erforschen, sondern auch für Straußenzüchter, die nun genaue Angaben zum Bedarf ihrer Tiere an Magensteinen besitzen. Für seine Arbeit erhielt Wings den Tilly-Edinger Nachwuchspreis 2004 der Paläontologischen Gesellschaft.
(Oliver Wings/Universität Tübingen, 10.03.2006 – AHE)