Streit ums Datum: Der Ausbruch des Laacher-See-Vulkans in der Eifel war eine der größten Katastrophen im eiszeitlichen Europa. Doch wann fand diese für die Klimageschichte und Stratigrafie so wichtige Supervulkan-Eruption statt? Darüber ist nun Streit unter Geoforschern entbrannt. Denn es gibt Zweifel an der Richtigkeit einer im Jahr 2021 gemachten Neudatierung. Sie könnte durch vulkanische Gase verfälscht worden sein, argumentiert nun ein Forscherteam in „Nature“.
Als der Supervulkan unter der Eifel vor mehr als 12.000 Jahren ausbrach, löste er einen Tsunami im Rhein aus und begrub halb Mitteleuropa unter Asche und Lavabrocken. Diese vulkanischen Ablagerungen sind in vielen Gesteinsschichten bis heute nachweisbar und bilden einen wichtigen Zeitmarker für die europäische Geologie und Klimageschichte. Umso wichtiger ist die präzise und zuverlässige Datierung dieser Laacher-See-Ablagerungen.
Geschah der Ausbruch 130 Jahre früher?
Doch genau an diesem Punkt hakt es: Unter Geowissenschaftlern herrscht Uneinigkeit darüber, wann der Laacher-See-Vulkan ausgebrochen ist – ob vor 12.880 Jahren oder doch schon 130 Jahre früher. Auslöser dieser Debatte ist eine 2021 veröffentlichte Neudatierung durch Frederick Reinig von der Universität Mainz und sein Team. Für ihre Studie hatten sie die Jahresringe mehrerer Bäume mittels Radiokarbondatierung untersucht, die beim Ausbruch des Eifelvulkans verschüttet und abgestorben waren.
Dieser Neudatierung zufolge ereignete sich die Laacher-See-Ausbruch 130 Jahre früher als gedacht – schon vor 13.006 Jahren. Wenn sich diese Vorverlegung der Eruption bestätigt, hätte dies weitreichende Auswirkungen auf die Datierung von Gesteinsschichten in ganz Europa, aber auch auf die Klimageschichte. Denn dann wäre der Kälteeinbruch der jüngeren Dryas früher und schneller eingetreten als bisher angenommen.
Das Problem des „toten“ Kohlenstoffs
Jetzt allerdings meldet ein zweites Forschungsteam erhebliche Zweifel an der Neudatierung von Reinig und Kollegen an. James Baldini von der Durham University in Großbritannien und seine Kollegen haben sich die Baumringdaten und ihre Radiokarbondatierung noch einmal genauer angeschaut – und dabei eine mögliche Fehlerquelle entdeckt: Die vulkanischen Gase, die auch vor der großen Eruption schon im Gebiet rund um den Laacher See austraten.
„Unsere Studie legt nahe, dass die Neudatierung nicht den ‚toten‘ Kohlenstoff berücksichtigt, der vom Vulkan freigesetzt wird und den die Bäume aufgenommen haben“, erklärt Baldini. Das Problem: Atmosphärischer Kohlenstoff enthält einen spezifischen, zur Radiokarbondatierung verwendeten Anteil des radioaktiven Kohlenstoff-Isotops 14C. Weil dieses im Laufe der Zeit zerfällt, kann man aus seinem Anteil in kohlenstoffhaltigen Relikten auf ihr Alter schließen.
Verfälscht durch vulkanische Gase?
Doch wenn Bäume dicht an einem Vulkan und an vulkanischen Gasaustritten wachsen, nehmen sie nicht nur CO2 aus der Atmosphäre auf: Sie bauen auch Kohlenstoff vulkanischen Ursprungs in ihre Gewebe ein. Dieser aus der Tiefe der Erde stammende Kohlenstoff enthält jedoch kein radioaktives14C. Analysiert man später den Isotopengehalt dieser Gewebe, erscheint er daher älter, als er in Wirklichkeit ist. „Studien solcher Bäume zeigen, dass ihr Radiokarbonalter dadurch um bis zu 200 Jahre zu alt datiert werden kann“, erklären Baldini und seine Kollegen.
Ihrer Ansicht nach könnte dies der Grund sein, warum die frühere Studie auf ein um 130 Jahre höheres Alter für die Bäume und damit die Eruption kam: „Die Bäume, die Reinig und Kollegen nutzten, waren durch diesen vulkanischen Kohlenstoff kontaminiert und produzierten daher ein um 130 Jahre weiter zurückliegendes Datum für den Ausbruch“, sagt Baldini. Seiner Einschätzung nach hat daher die ursprüngliche Datierung des Ausbruchs auf die Zeit vor 12.880 Jahren Bestand.
Als weiteres Argument gegen die Neudatierung sehen die Wissenschaftler einen auffallenden Anstieg der Schwefelwerte in grönländischen Eisschichten und Seesedimenten. Dieser Sulfat-Peak ist in Schichten aus der Zeit vor 12.870 Jahren nachweisbar – und damit kurz nach dem etablierten Datum für den Laacher-See-Ausbruch. „Die Sulfatverteilung in Grönland und der Antarktis deutet darauf hin, dass der Auslöser ein großer Vulkanausbruch in den mittleren bis hohen nördlichen Breiten gewesen sein muss – was zur Laacher-See-Eruption passen würde“, so Baldini und seine Kollegen.
Widerspruch gegen die Kritik
Doch Reinig und sein Team sehen dies anders: In einer Entgegnung auf die aktuelle Kritik bestreiten sie, dass ihre Bäume durch vulkanisches CO2 kontaminiert waren. Zum einen habe man bei Bäumen von verschiedenen Standorten keine großen Schwankungen im Radiokarbonwert gefunden. Ihre 14C-Werte stimmten gut überein – unabhängig davon, ob diese Bäume in Windrichtung vor oder hinter den vulkanischen Gasaustritten standen.
Auch bei Bäumen, die damals mehr als 330 Kilometer entfernt vom Laacher See wuchsen, gab es keine signifikanten Abweichungen bei der Radiokarbondatierung der Jahresringe, wie Reinig und seine Kollegen berichten. Um ganz sicher zu gehen, haben sie zusätzlich drei Bäume einer 14C-Messungen unterzogen, die heute direkt an einem Gasaustritt des Laacher Sees wachsen – und auch bei diesen zeigten sich keine Abweichungen zu regionalen und globalen Referenzdaten.
Ausbruchs-Datum bleibt vorerst offen
Damit steht für Reinig und seine Kollegen fest, dass ihre Neudatierung Bestand hat und nicht von vulkanischem Kohlenstoff verfälscht wurde. Baldini und sein Team sind dagegen wenig davon überzeugt. „Auch wenn wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Datierung von Reinig und Co vom magmatischen CO2 beeinflusst war: Wir sind der Ansicht, dass unsere Belege stark genug und die möglichen Auswirkungen schwerwiegend genug sind, um diskutiert zu werden“, schreiben sie.
Sie schlagen vor, die Datierungen noch einmal unabhängig zu überprüfen. Solange das nicht geschehen sei, müsse man beide möglichen Daten für die Laacher-See-Ausbruch in Betracht ziehen und beiden mit Vorbehalt sehen. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05965-1)
Quelle: Durham University