Es klingt paradox, stimmt aber: Wenn es an der Nordseeküste zukünftig mehr stürmt, hilft dies den bedrohten Küstenmarschen gegen den Klimawandel. Denn Sturmfluten spülen immer auch ein bisschen Sand und Schlick auf die überfluteten Salzwiesen und Marschen. Dadurch werden diese millimeterweise höher und können so besser mit dem steigenden Meeresspiegel Schritt halten. Das berichten Kieler Forscher im Fachmagazin “ Journal of Geophysical Research“. Dieser positive Effekt halte aber nur an, solange es ausreichend leicht aufwirbelbares Sediment im Vorland gebe.
Die Meeresspiegel steigen – auch an der Nordsee: Schon heute liegen die durchschnittlichen Pegel rund 20 Zentimeter höher als noch vor rund hundert Jahren, bis 2030 könnte noch einmal so viel hinzukommen. Und auch die Häufigkeit und Stärke der Sturmfluten soll den Prognosen nach zunehmen. Die meisten Küsten sind zwar gut durch Deiche geschützt, aber die teilweise vor den Deichen liegenden Salzwiesen und Marschen sind Überflutungen relativ schutzlos ausgeliefert. Sie aber sind wichtige, einzigartige Lebensräume für salzliebende Pflanzen, Vögel und zahlreiche andere Tiere.
„Es gibt zwar Prognosen darüber, wie gut die Salzmarschen dem steigenden Meeresspiegel standhalten können, der Einfluss der häufigeren Stürme wird darin aber nicht berücksichtigt“, erklären Mark Schuerch und seine Kollegen von der Universität Kiel. Um dies zu klären, haben die Forscher nun in einer Simulation verglichen, wie Salzmarschen im Wattenmeer vor Sylt auf Meeresspiegelanstieg mit und ohne Zunahme der Sturmhäufigkeit reagieren. Sie analysierten dafür 48 verschiedene Szenarien des Anstiegs und 13 Sturmszenarien, um die kritische Grenze herauszufinden, bis zu der die Salzmarschen trotz Klimawandel bis 2100 überleben können.
Stürme lassen Marschen um drei Millimeter wachsen
Das Ergebnis war verblüffend: Gingen die Forscher von einer gleichbleibenden Sturmhäufigkeit aus, lag der maximale von den Marschen überstehbare Meeresspiegelanstieg bei 19 bis 21 Millimetern pro Jahr. Berücksichtigten die Forscher aber die den Prognosen nach ebenfalls zunehmende Sturmhäufigkeit, erhöhte sich die Widerstandskraft der Marschen. Sie tolerierten dann sogar noch weitere drei Millimeter Anstieg mehr, ohne dauerhaft unterzugehen. Nahm dabei aber auch die Stärke der Stürm zu, reduzierte sich dieser positive Sturmeffekt auf nur noch einen Millimeter – aber immerhin.
Was aber ist der Grund für diese unerwartet positive Wirkung der Stürme? Wie die Forscher erklären, transportieren die ins Land vordringenden Wellen bei einer Sturmflut immer auch viel Sediment, feinen Sand und Schlick, den das Wasser auf seinem Weg über die Wattböden aufgewirbelt und mitgerissen hat. Auf den Marschen ebbt die Flut ab und die Geschwindigkeit des Wassers verlangsamt sich. Als Folge sinken die Sedimentteilchen ab oder verfangen sich im Salzgras. Dadurch bleibt nach der Sturmflut immer ein wenig zusätzliches Material auf den Marschen liegen – und lässt sie so allmählich in die Höhe wachsen.
Dieser Effekt ist zwar gering, reicht aber aus, um die Widerstandskraft der Salzmarschen gegen das langsam ansteigende Meer zumindest ein wenig zu erhöhen, wie die Forscher berichten. Das allerdings funktioniere nur so lange, wie auch ausreichend feinkörniges, aufwirbelbares Sediment in der Nähe der Marschen vorhanden sei. (Journal of Geophysical Research-Earth Surface, 2013; doi:10.1029/2012JF002471)
(Journal of Geophysical Research-Earth Surface, 13.02.2013 – NPO)