Die Fähigkeit, Milch auch im Erwachsenenalter zu verdauen, ist vor etwa 7.500 Jahren in einer Region zwischen dem zentralen Balkan und Mitteleuropa unter Bauern entstanden. Zu diesem Ergebnis ist jetzt ein internationales Wissenschaftlerteam in einer neuen Studie gekommen, über die das Fachmagazin „PLoS Computational Biology“ berichtet.
Die so genannte Laktosetoleranz, also die Verträglichkeit von Milchzucker über die Säuglingszeit hinaus, nahm demnach nicht in Nordeuropa ihren Anfang.
Explosionsartige Ausbreitung
„Wir gehen jetzt davon aus, dass die Milch-Verträglichkeit vor etwa 7.500 Jahren im Gebiet des heutigen Ungarn, Österreichs oder der Slowakei aufgekommen ist, vielleicht in der Kultur der Linearbandkeramiker, und sich von dort aus mit unglaublicher Durchsetzungskraft unter der gesamten mittel- und nordeuropäischen Bevölkerung verbreitet hat“, erklärt Professor Joachim Burger vom Institut für Anthropologie der Universität Mainz.
Heute liegt die Milch-Verträglichkeit unter Erwachsenen bei durchschnittlich 60 Prozent in Mitteleuropa im Vergleich zu nur 20 Prozent in Südeuropa und einer nahezu kompletten Milch-Unverträglichkeit in den meisten anderen Regionen der Welt.
Genmutation sorgte für Laktasepersistenz
Erwachsene Menschen konnten nicht schon seit eh und je Milch verdauen und ein großer Teil der Weltbevölkerung kann es auch heute noch nicht. Die Fähigkeit, den Milchzucker Laktose zu spalten, verliert sich normalerweise nach der Säuglingszeit. Dann geht die Bildung des Enzyms Laktase, das den Milchzucker in verwertbare Zuckerarten aufteilt, zurück. Reine Milch kann dann kaum noch verdaut werden, sondern muss durch spezielle Prozesse wie Käse- oder Joghurtherstellung verträglicher gemacht werden.
„Andere Völker haben die Milch-Intoleranz sozusagen kulturell gelöst“, so Burger. „Unter unseren jungsteinzeitlichen Vorfahren in Mitteleuropa hat sich dagegen eine Genmutation herausgebildet, die so genannte Laktasepersistenz. Dieses Merkmal hat sich rasant demographisch durchgesetzt wie kaum ein anderes“. Wie genau sich die neue Fähigkeit verbreitet hat und mit dem Aufkommen der Tierhaltung – die ersten Hausrinder kamen vor ungefähr 8.000 Jahren aus Anatolien nach Europa – einherging, muss noch untersucht werden.
Computersimulation im Einsatz
Bei der jetzigen Arbeit hat das Team, zu dem Wissenschaftler der britischen Elite-Universität UCL, der University of Reading und des Instituts für Anthropologie der Universität Mainz gehören, eine Computersimulation verwendet. Simuliert wird die mögliche Verbreitung der Variante in Milchwirtschaft betreibenden Ackerbauern, die von Jäger- und Sammlerpopulationen umgeben sind.
„Wir waren etwas überrascht, dass der Ursprung der Laktasepersistenz offenbar nicht im nördlichen Europa beheimatet ist“, sagt Mark Thomas, Seniorautor der Studie und Professor für Evolutionsbiologie in London. „Die heutige Verteilung der Genmutation hätte diesen Rückschluss begünstigt, liegt doch die Milch-Verträglichkeit unter Nordeuropäern in Skandinavien und Irland bei rund 90 Prozent.“
Milch-Verträglichkeit als Entwicklungsvorteil
Dass sich die Milch-Verträglichkeit in evolutionsgeschichtlich gesehen so kurzer Zeit so schnell verbreitet hat, dürfte nach Ansicht der Forscher verschiedene Gründe haben, die jeweils einen Entwicklungsvorteil bedingen. Im Gegensatz zu anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist Milch beispielsweise ständig verfügbar, aber auch die Energie, die aus einer Kuh beim Melken gewonnen wird, ist höher als die durch Schlachten.
Aber auch rein demographische Gründe, nämlich der so genannte Surf-Effekt in einer sich ausbreitenden Bevölkerung, können nach Angaben der Wissenschaftler für die hohe Häufigkeit im Norden verantwortlich sein. Außer in Europa ist in Afrika noch eine Reihe von kleineren Bevölkerungsgruppen mit veränderter Laktaseproduktion bekannt, wobei drei davon vermutlich die Mutation unabhängig entwickelt haben.
(idw – Universität Mainz, 31.08.2009 – DLO)