Der Garten des Taj Mahal in Indien spiegelt wichtige Zeitpunkte im Sonnenjahr wider: Die vier Pavillons in den Ecken des Gartens markieren genau die Punkte am Horizont, an denen die Sonne an den Winter- und Sommersonnenwenden auf- und untergeht, wie eine italienische Physikerin herausgefunden hat. Dass das kein Zufall ist, zeigen ihre Analysen weiterer Gärten aus der Mogulzeit – auch sie sind nach diesen astronomischen Bezügen ausgerichtet.
Die Mogul-Herrscher Indiens regierten in ihrer Blütezeit im 17. Jahrhundert über fast den gesamten Subkontinent. Sie hinterließen zahlreiche prachtvolle Paläste und Mausoleen, die oft von streng geometrisch angelegten Gärten im persischen Stil umgeben sind. „Es ist wohlbekannt, dass diese Mogulgärten symbolisch für den Garten Eden standen, mit vier Wasserkanälen, die aus einer zentralen Quelle in die vier Enden der Erde flossen“, erklärt Amelia Sparavigna von der Universität Turin.
Die Physikerin aber vermutete mehr hinter den Gärten als nur ein geometrisches Symbol: Sie suchte nach Hinweisen darauf, dass die Mogul-Herrscher ihre Gärten auch nach astronomischen Gesichtspunkten anlegen ließen. Dafür überprüfte sie mit Hilfe von Google-Maps und dem astronomischen Programm Sun Calc die Ausrichtung markanter Punkte in verschiedenen Gärten, darunter auch dem berühmtesten Beispiel der Mogul-Architektur, dem Taj Mahal.
Pavillons als Sonnenwend-Marker
Der Großmogul Shah Jahan ließ das weiße Mausoleum Mitte des 17. Jahrhunderts zum Gedenken an seine verstorbene dritte Frau Mumtaz Mahal erbauen. Das gesamte Taj Mahal besteht aus einem Komplex aus mehreren Nebengebäuden und Grabmalen, dem Hauptgarten mit seinen Wasserkanälen sowie einem weiteren Mondlicht-Garten jenseits des Flusses Yamuna.
Wie Sparavignas Berechnungen ergaben, gibt es in den Gärten des Taj Mahal tatsächlich Hinweise auf eine astronomische Ausrichtung: Stellt man sich zur Sommersonnenwende auf einen Kreuzungspunkt zweier Wege mit dem zentralen Wasserkanal, dann geht die Sonne an diesem Tag exakt über einem der Nebenpavillons des Taj Mahal auf und über dem gegenüber liegenden Pavillon im Nordwesten wieder unter. Das Mausoleum bildet damit an diesem Tag das Zentrum, über das die Sonne einen genauen Bogen zu ziehen scheint.
Kanal als symbolische Achse der Welt
Ähnliches gilt für die Wintersonnenwende und zwei weitere Pavillons in den südliche Ecken des Gartens, wie die Forscherin berichtet. „Die Richtungen der Auf- und Untergänge der Sonne an den beiden Sonnenwenden gehen genau durch die Pavillons in den vier Ecken des Gartens“, so Sparavigna. Die Grenzen des Gartens bilden damit einen symbolischen Horizont, seine durch den großen Kanal und das Mausoleum gebildete Längsachse repräsentiert die Axis mundi – die symbolische Achse der Welt, um die selbst die Sonne kreist.
Wie die Analysen weiterer Gärten aus der Mogulzeit zeigen, ist das Taj Mahal keine Ausnahme. Sparavigna fand auch in den Gärten anderer Grabmäler und Paläste der Mogulherrscher ähnliche Ausrichtungen zu den Sonnwenden hin. Das spricht dafür, dass die Architekten diese Anordnung bewusst wählten. Ob dies eine rein symbolische Bedeutung hatte oder ob diese Sichtachsen den Architekten bei der genauen Ausrichtung des Taj Mahals auf der Nord-Südachse halfen, bleibt allerdings unklar. (Philica, 2015)
(Philica, 03.02.2015 – NPO)