Sie identifizieren und benennen neu entdeckte Tier- und Pflanzenarten, sie beschreiben und kategorisieren lebende Vögel, Krebse, Spinnen und Schlangen aber auch Millionen Jahre alte Fossilien, sie erstellen Stammbäume und sorgen für Durchblick in der Vielfalt des Lebens: Ohne Taxonomen würden viele Forschungsprojekte scheitern – und die Sammlungen der Museen und Universitäten im Chaos versinken.
Doch die hochspezialisierten Experten für das Bestimmen und Ordnen drohen allmählich auszusterben. Stellenmangel und fehlende Berufsperspektiven für den Nachwuchs gehören zu den gravierendsten Problemen, mit denen diese Berufsgruppe heute zu kämpfen hat. Ein schleichendes Verschwinden der Taxonomen aus der Forscher-Community könnte aber schon bald zu einem schwerwiegenden Wissensdefizit führen – nicht nur in der Biologie, sondern auch in der Geologie und der Paläontologie.
Dies ist jedenfalls das Fazit eines Vortrags der Bremer Geologin Hildegard Westphal auf dem Symposion „HUM – die Kunst des Sammelns“, das Ende November im Museum für Naturkunde in Berlin stattfand.
Global change ist „in“, Taxonomie „out“
Der „global change“ ist zurzeit in aller Munde und Klimamodelle und -vorhersagen sind aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Die Geologie befasst sich jedoch nicht nur mit den letzten hundert Jahren Klimageschichte, sondern mit der langfristigen Klimaentwicklung und erlaubt so auch ein Verständnis der Prozesse, die das System Erde grundlegend beeinflussen und verändern.
Die einzigen Klimaarchive, die einen Blick weit zurück in die Vergangenheit ermöglichen, sind Sedimentgesteine und die in ihnen enthaltenen Fossilien – Zeugen der Umweltbedingungen vor Jahrmillionen. „Geologen und Geochemiker liefern mit ihrer Arbeit wertvolle, zum Teil quantitative Informationen für die Rekonstruktion der längst vergangenen Welten. Die paläontologischen Daten dagegen sind meist beschreibend und vieldimensional. Sie tragen Informationen über viele Aspekte der Lebensumwelt: ob im Meer oder auf dem Festland, warm oder kalt, trocken oder feucht, stürmisch oder ruhig.“, so Westphal, Mitglied der Jungen Akademie, die am Marum – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen forscht.
Gründlich bestimmte Fossilien sind deshalb unbezahlbar für die Rekonstruktion der Vergangenheit. Diese Rekonstruktionen wiederum sind aber die Basis für ein Verständnis von Prozessen und für das Aufspüren bisher unbekannter globaler Veränderungen. Nur wenn alle Arten von Informationen, quantitative wie qualitative, geochemische, geologische, und paläontologische zusammengefügt werden, ist es möglich zu einer konkreten Vorstellung vom Klima und der Lebenswelten in den verschiedenen Epochen der Erdgeschichte zu gelangen.
Weniger Stellen, kein Nachwuchs
Dennoch haben es Paläontologie und vor allem Taxonomie in der modernen Forschungslandschaft nicht leicht. Forschungsgelder stehen heute zwar insgesamt mehr zur Verfügung als noch vor einigen Jahren. Doch feste Stellen für Wissenschaftler mit diesen Schwerpunkten werden immer rarer. Zudem wurde an den Universitäten und Forschungseinrichtungen der Mittelbau – wissenschaftliche Mitarbeiter mit Langzeitperspektive – als Ort taxonomischen Wissens faktisch abgeschafft. Und auch in der Lehre nehmen Paläontologie und Taxonomie mittlerweile sehr viel weniger Raum ein als früher.
„Die Tragik liegt darin, dass in vielen Bereichen die Kontinuität abgebrochen ist, dass Expertise im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben ist, ohne dass jemand den Stab weiterträgt“, erklärt Westphal.
Doch was sind die Gründe für diese Entwicklung? „Taxonomie ist keine ‚Charisma-Forschung’, sie ist auch keine ‚Großforschung’. Sie ist stattdessen die langfristige Akkumulation von Expertise. Doch genau diese Systematik ist aber die Basis aller Interpretation von Fossilgemeinschaften und damit von jeglicher paläoökologischer Arbeit. Nicht nur wir als Geologen sind auf dieses Wissen dringend angewiesen.“, erläutert Westphal.
Doch gibt es noch Hoffnung für die Taxonomen? Oder handelt es sich bei ihnen tatsächlich um eine aussterbende Spezies? Westphal hat Bedenken, sie sieht aber durchaus auch positive Ansätze und Entwicklungen. So stellen sich Paläontologie und Taxonomie in letzter Zeit beispielsweise immer mehr dem Trend, dass jegliche Forschung stets in große Fragestellungen gestellt wird – für die Geologin ein Schritt in die richtige Richtung: „Dies wird den Schaden, der bereits angerichtet ist, nicht reparieren, aber hoffentlich zu einer Schadensbegrenzung führen.“
Weitere Informationen
Der Text basiert auf dem Katalog „HUM – die Kunst des Sammelns“, der Ende Februar erscheinen wird.
Das Symposion „HUM – die Kunst des Sammelns“ wurde veranstaltet von der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, KlangQuadrat – büro für kunst::musik und dem Museum für Naturkunde Berlin
„HUM – die Kunst des Sammelns“ von Julian Klein / a rose is wird weitergeführt als taxomanischer „Parcours“ durch die Sammlungen des Museums für Naturkunde in Berlin.
Termine:
Premiere 28.02.2008 19:00 Uhr
29.02., 01., 05.- 08.03.2008 jeweils 19:00 Uhr
Derniere 9.3.2008 16:00 Uhr
im Rahmen von MaerzMusik. Festival für aktuelle Musik (www.maerzmusik.de)
Ort:
Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin
Invalidenstraße 43
10115 Berlin
Links:
www.hum-die-kunst-des-sammelns.de/
(Hildegard Westphal, Universität Bremen, 05.02.2008 – DLO)