Geowissen

Tiefsee: Existenziell auch für uns

Meeresforscher warnen vor voreiligen Eingriffen in den größten Lebensraum der Erde

Die Tiefsee ist nicht nur ein Lebensraum, sie birgt auch wertvolle Bodenschätze © NOAA/ NURP / OA

Meeresforscher warnen vor unbedachten Eingriffen in die Tiefsee. Denn die Meerestiefen sind für den gesamten Planeten und für die Menschheit überlebenswichtig, wie sie in ihrer Studie klarstellen. Beuten wir die Rohstoffe aus, ohne dieses sensible Ökosystem zu schützen, schaden wir uns daher selbst, so ihre Warnung im Fachmagazin“ Biogeosciences“. Gefährdet seien dann nicht nur Fischerei und Meeresnatur, sondern auch Klima und grundlegende Stoffkreisläufe unseres Planeten.

Sie ist dunkel, umfasst gewaltige Flächen und ist für Menschen nahezu unerreichbar: Die Tiefsee gehört zu wenigen Gebieten der Erde, die noch immer in großen Teilen unerforscht sind. „Unsere Verständnis darüber, wie die Tiefsee funktioniert, ist begrenzt“, erklären Andrew Thurber von der Oregon State University in Corvallis und seine Kollegen. „Aber wir wissen, dass viele der Funktionen der Tiefsee direkte Bedeutung für den gesamten Planeten haben.“

Mehr Vielfalt als gedacht

Seit einigen Jahren zeigen Studien, dass die Tiefsee längst nicht so leer und artenarm ist wie einst gedacht. Stattdessen finden sich hier komplexe Organismengemeinschaften, die auch für viele weiter oben lebende Meerestiere die Nahrungsgrundlage bilden. „Der Meeresboden der Tiefsee enthält immerhin 78,9 Prozent der gesamten Biomasse der marinen Bodenzone“, berichten die Forscher. Ohne die Tiefsee würden daher viele Fischgründe leer bleiben.

Dennoch gibt es bereits konkrete Pläne, in dieses Ökosystem einzugreifen, um wertvolle Rohstoffe zu bergen. Um die Folgen solcher Eingriffe klarer zu machen, werteten die Forscher 200 wissenschaftliche Studien aus. Aus diesen Daten trugen sie zusammen, auf welche Weise die Prozesse und Organismen der Tiefsee die Menschheit, aber auch die Natur als Ganzes und den Planeten beeinflussen.

Kaltwasser-Korallen in der Tiefsee © Department for Business, Innovation and Skills, UK

Tiefsee schluckt Treibhausgase

Wie sie berichten, spielen vor allem die Mikrobengemeinschaften der Tiefsee eine wichtige Rolle für globale Stoffkreisläufe. So sorgen methanfressende Bakterien dafür, dass nur ein geringer Teil des aus Methanhydrat-Vorkommen entweichenden Methans an die Wasseroberfläche gelangt. Der weitaus größte Teil dieses potenten Treibhausgases wird von den Bakterien aufgezehrt. „Nur deshalb tragen ozeanische Quellen bisher nur 2-4 Prozent zum Methanausstoß in die Atmosphäre bei“, betonen die Forscher.

Auch für ein zweites Treibhausgas, das Kohlendioxid, fungiert die Tiefsee als Puffer und Speicher zugleich: „Die Tiefsee speichert zurzeit rund 37.000 Gigatonnen Kohlenstoff und hat bereits ein Viertel des gesamten Kohlenstoffs aufgenommen, der durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wurde“, erklären die Wissenschaftler. Ohne diese Leistungen der Tiefsee wäre der Klimawandel daher schon weiter fortgeschritten.

Öl, Gas und Wärmeenergie

Aber auch im nichtbiologischen Bereich leistet die Tiefsee wertvolle Dienste. Ein Beispiel sind fossile Brennstoffe wie Erdöl und Gas: Heute werden Lagerstätten in immer tieferen Gewässern erschlossen, weil die flacheren Vorkommen erschöpft sind und die Technik inzwischen eine Ausbeutung tiefer Lagestätten ermöglicht. Die Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexico habe aber gezeigt, welche Risiken dies berge – auch und gerade für die sich nur langsam regenerierende Meeresumwelt, betonen die Forscher.

Gleichzeitig gibt es in der Tiefsee auch noch bisher unangezapfte Energiereserven wie die Methanhydratvorkommen oder die Wärmeenergie der hydrothermalen Schlote. Auch der Temperaturunterschied zwischen dem wärmeren Oberflächenwasser und der Tiefsee lässt sich zur Energiegewinnung nutzen. „Diese thermische Konversion könnte das 400-Fache der globalen Energienachfrage liefern“, schätzen die Forscher. Erste Pilotanlagen existieren bereits vor Japan und Südkorea.

Manganknollen aus der Tiefsee sind ein begehrter Rohstoff © Sven Teschke / CC-by-sa 2.0 de

Tiefsee-Bergbau wird kommen

Aktuell in der Diskussion und Planung ist auch die Gewinnung von wertvollen Metallen und Mineralien durch Tiefsee-Bergbau. „Diese Tiefsee-Rohstoffe werden wahrscheinlich noch innerhalb der nächsten Jahrzehnte in großem Umfang abgebaut werden“, sagen die Forscher. So ist die Planung für einen Abbau von Manganknollen im Pazifik bereits relativ weit fortgeschritten.

Aber auch hier warnen die Wissenschaftler vor den Folgen unbedachter Eingriffe: Die Ablagerungen der Metalle und Minerale bildeten sich innerhalb von Jahrhunderten und Jahrtausenden und sind daher nach unseren Zeitmaßstäben nicht erneuerbar. Viele Prozesse und Kreisläufe laufen in der Meerestiefe sehr viel langsamer ab als an der Oberfläche. Zudem ist beispielsweise die Wirkung der Tiefsee-Bakterien scheinbar gering, wenn man nur einzelne betrachtet. Weil sie aber gewaltige Flächen besiedeln, spielt ihr Zustand eine entscheidende Rolle in globalem Maßstab, so die Forscher.

Verantwortlicher Umgang entscheidend

„Der Wert der Tiefsee muss klar sein, wenn wir darüber entscheiden, wie wir sie in Zukunft vermehrt nutzen“, betont Thurber. „Denn wir müssen darauf achten, nicht die Leistungen und Dienste zu verlieren, die sie uns jetzt schon bereitstellt.“ Es sei daher dringend nötig, über einen verantwortlichen Umgang mit der Tiefsee nachzudenken und zu diskutieren, bevor die Ausbeutung zu weit fortgeschritten sei, mahnen die Wissenschaftler.

Sie hoffen, dass ihre Daten und Erkenntnisse auch den Entscheidungsträgern verdeutlichen, wie wichtig dieses ozeanische Reich für die Menschheit und die Gesellschaft ist – und wie sensibel es gegenüber Eingriffen reagiert. (Biogeosciences, 2ß14; doi: 10.5194/bg-11-1-2014)

(European Geosciences Union, 30.07.2014 – NPO)

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