Umwelt

Tiefseebergbau trifft auch mobile Arten

Abbautest vor Japan zeigt unerwartet weitreichende Beeinträchtigung der Tiefseefauna

Abbaufahrzeug in der Tiefsee
Abbau-Vehikel bei einem Test des Tiefseebergbaus vor Japan. Der Spezialbagger schält Kobaltkrusten vom Meergrund ab. © Travis Washburn

Unerwartete Effekte: Der Tiefseebergbau könnte nicht nur schwerwiegende Folgen für das Leben im und am Meeresgrund haben – auch hochmobile Arten wie Fische und Garnelen sind stärker beeinträchtigt als gedacht. Das enthüllen Beobachtungen nach einem ersten Testabbau von Kobaltkrusten vor der Küste Japans. Noch ein Jahr nach dem Abbau lag die Dichte von Fischen und Garnelen um 43 Prozent unter den früheren Werten, in der weiteren Umgebung sank die Dichte sogar um 56 Prozent.

Ob metallreiche Manganknollen, Kobaltkrusten an Seamounts oder Sulfid-Ablagerungen an unterseeischen Schloten: Die Tiefsee birgt enorme Mengen an unerschlossenen Rohstoffen – und weckt entsprechende Begehrlichkeiten. Doch erste Studien zeigen, dass der Tiefseebergbau die sensiblen Ökosysteme am Meeresgrund nachhaltig und auf Jahrzehnte hinaus beeinträchtigen kann. Selbst 25 Jahre nach solchen Störungen bleiben Mikroorganismen, Stoffkreisläufe und tierische Bewohner des Meeresgrunds verändert.

Kobaltkrusten
Abbau-Vehikel bei einem Test des Tiefseebergbaus vor Japan. Der Spezialbagger schält Kobaltkrusten vom Meergrund ab. © Travis Washburn

Doch bisher fehlt es an klaren Regelungen für den Tiefseebergbau: Eigentlich sollte die dafür zuständige International Seabed Authority (ISA) bis zum 10. Juli 2023 entsprechende Richtlinien erlassen. Doch diese Frist ist nun verstrichen. Während bisher nur Lizenzen für eine Erforschung von Abbaumethoden und -folgen vergeben wurden, können dadurch kommerzielle Unternehmen jetzt auch Abbauanträge bei der ISA stellen. Damit könnte der Tiefseebergbau in naher Zukunft beginnen, ohne dass es dafür spezielle Vorgaben gibt.

Testabbau von Kobaltkrusten

Jetzt liefert eine Studie aus Japan weitere Indizien für die weitreichenden ökologischen Folgen des Tiefseebergbaus. Für ihre Studie hatten Travis Washburn vom geologischen Dienst Japans und sein Team einen ersten Abbautest von Kobaltkrusten vor der Küste Japans wissenschaftlich begleitet. Bei diesem Test im Sommer 2020 wurde ein sieben Meter langes und 3,50 Meter breites Abbaufahrzeug auf den Gipfel eines erloschenen Unterseevulkans hinabgelassen.

Der Tiefsee-Bagger schälte auf einer Länge von 129 Metern und einer Breite von rund einem Meter die metallreiche Kruste vom Meeresgrund. Insgesamt wurden innerhalb von rund zwei Stunden rund 650 Kilogramm Kobaltkruste vom Gipfel des Seamounts entfernt. Washburn und sein Team ermittelten vor dem Test sowie einen Monat und ein Jahr später, welche und wieviele Organismen im unmittelbaren Testgebiet und in einem Umkreis von 200 Metern vorkamen. Dies kartierten sie mithilfe von Kameraaufnahmen eines Tauchroboters und Probennahmen.

Deutlicher Tierschwund auch abseits des Abbaugebiets

Das Ergebnis: Der Eingriff verursachte nicht nur Veränderungen in den unmittelbar vom Abbau betroffenen Bereichen des Meeresgrunds, sondern auch im weiten Umfeld. „Ich habe erwartet, dass wir keine großen Veränderungen sehen würden, weil der Abbautest so klein war“, sagt Washburn. Doch die Untersuchungen ergaben, dass die Tiefseefauna auch 200 Meter vom Abbaugebiet entfernt messbar ausgedünnt war. Die Dichte und Vielfalt der Tierwelt am Meeresgrund hatte in beiden Gebieten fast gleich stark abgenommen.

Anders als erwartet waren davon auch hochgradig mobile Tiere wie Fische, Garnelen und Nesseltiere betroffen. „Bisher galten solche mobilen Arten als relativ tolerant gegenüber Störungen, während sessile oder langsam kriechende Tiere weniger widerstandsfähig sind“, erklären die Forschenden. Denn schnelle Schwimmer haben ein größeres Territorium und können leichter in andere, noch ungestörte Gebiete ausweichen. Doch die Daten zeigten: „Ein Jahr nach dem Test waren die Dichten dieser Arten im Anbaugebiet um 43 Prozent und in den angrenzenden Flächen um 56 Prozent verringert“, berichten Washburn und seine Kollegen.

„Folgen noch größer als wir dachten“

Nach Ansicht der Wissenschaftler deuten ihre Ergebnisse darauf hin, dass die Auswirkungen des Tiefseebergbaus in mehrfacher Hinsicht weitreichender sind als landläufig angenommen. Zum einen reichen die Beeinträchtigungen weiter in umliegende Bereiche des Meeresgrunds hinein – möglicherweise durch die von Strömungen weitergetragenen Schlammwolken des Abbaus. Zum anderen sind auch Tierarten betroffen, die bislang als relativ tolerant und resilient galten.

„Wir benötigen zwar noch mehr Daten, aber unsere Studie unterstreicht schon jetzt, dass wir diese Aspekte stärker berücksichtigen müssen“, sagt Washburn. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Folgen des Tiefseebergbau noch größer sein könnten als wir bisher dachten. Entsprechend wichtig ist es, dass diese Daten öffentlich werden.“

Das Team hofft, dass ihre Ergebnisse auch bei den zurzeit laufenden Verhandlungen der ISA berücksichtigt werden. Denn die internationale Meeresbodenbehörde tagt zurzeit auf Jamaika, um erneut über das künftige Tiefsee-Abbaurecht zu diskutieren. Doch bis sich dieses Gremium auf verbindliche Regelungen geeinigt hat, wird es voraussichtlich noch mehr als ein Jahr dauern. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.06.032)

Quelle: Cell Press

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