Ungewöhnlicher Fund: Archäologen haben in der Türkei eine 3.000 Jahre alte Frauenstatue entdeckt. Das fünf Meter große Standbild könnte die Frau eines neo-hethitischen Königs darstellen, vielleicht sogar die berühmte Gründerin einer royalen Dynastie. Der Fund wirft ein neues Licht auf die Stellung der Frau im eisenzeitlichen Nahen Osten: Frauen könnten eine prominentere Rolle bekleidet haben als bisher angenommen.
Die Gegend im Grenzbereich zwischen Syrien und der Türkei hat eine wechselvolle Geschichte. Denn ägyptische Pharaonen, Babylonier und Hethiter rangen jahrtausendelang um die Vormacht in diesem strategisch wichtigen Gebiet. Vor rund 3.200 Jahren jedoch endete die Ära der großen Reiche und Hochkulturen abrupt: Ein Klimawechsel schwächte die Großmächte der Bronzezeit und ließ ihre Reiche zerfallen.
Fund in neo-hethitischer Königsstadt
Ein neues Licht auf die Entwicklung nach diesem Einschnitt wirft nun ein Fund in Tayinat im Südosten der Türkei. Dort – rund 75 Kilometer westlich von Aleppo – lag von 1000 bis 738 vor Christus Kunulua, die Hauptstadt des neo-hethitischen Königreichs Patina. Der mächtigen Zitadelle dieser Stadt war ein monumentaler Torkomplex vorgelagert, der den Zugang zu den Wohnbereichen der Elite markierte.
In diesem Torkomplex haben Timothy Harrison von der University of Toronto und seine Kollegen jetzt die Fragmente einer ungewöhnlichen Statue entdeckt. „Die Statue wurde mit dem Gesicht nach unten in einem dicken Bett aus Basaltstücken entdeckt“, berichtet Harrison. „Unter den Fragmenten waren Teile der Augen, der Nase und des Gesichts.“
Fünf Meter großes Standbild
Als die Archäologen die Fragmente zusammensetzten, erwies sich der Fund als ein Teil eines Standbilds einer 3.000 Jahre alten, überlebensgroßen Frauenfigur. „Zu ihren beeindruckenden Merkmalen gehört ein Ring von Locken, der unter einem Schal hervorschaut, der ihren Kopf, die Schultern und den Rücken bedeckt“, so der Archäologe.
Bisher haben die Archäologen nur den Kopf und Teile des Oberkörpers der aus Basalt gefertigten Statue gefunden. Sie schätzen, dass das gesamte Standbild einst vier bis fünf Meter hoch gewesen sein muss. Zusammen mit den Fragmenten dieser Statue fanden die Archäologen auch Teile anderer Skulpturen, darunter von Standbildern des neo-hethitischen Königs Suppiluliuma, der dieses Königreich im neunten Jahrhundert vor Christus regierte.
Göttin oder Königin?
Wer aber war die dargestellte Frau? Bisher können die Archäologen nur Vermutungen über ihre Identität anstellen: „Sie könnte ein Abbild von Kubaba, der Mutter der Götter im alten Anatolien darstellen“, sagt Harrison. „Aber es gibt auch stilistische und ikonografische Hinweise darauf, dass dieses Standbild eine menschliche Figur repräsentiert. Vielleicht die Frau des Königs Suppiluliuma oder – noch spannender – eine Frau namens Kupapiyas.“
Kupapiyas war die legendäre Frau von Taita, dem Dynastiegründer von Tayinat. Sie ist die bisher einzige Frau, die in Inschriften aus dieser Zeit erwähnt wird, wie die Archäologen berichten. Diesen Zeugnissen nach soll Kupapiyas mehr als 100 Jahre lang gelebt haben und eine machtvolle matriarchalische Persönlichkeit gewesen sein.
„Die Entdeckung dieser Statue spricht für die Möglichkeit, dass Frauen in diesen frühen Eisenzeit-Gemeinschaften eine prominentere Rolle im politischen und religiösen Leben spielten als es die bisher bekannten historischen Aufzeichnungen glauben ließen“, sagt Harrison.
Biblischer Ort der Zerstörung?
Aus der Art und Menge der Fragmente schließen die Forscher, dass die Frauenstatue und auch die anderen Skulpturen einst absichtlich zerstört worden sind. Aus historischen Aufzeichnungen ist bekannt, dass die neo-hethitische Königsstadt im Jahr 738 vor Christus von den Assyrern erobert und zumindest zum Teil zerstört worden ist. Der Torkomplex wurde überpflastert und zum zentralen Hof eines assyrischen Heiligtums, wie die Archäologen berichten.
Dieses Ereignis könnte sogar im Alten Testament der Bibel erwähnt sein: In Jesajas Orakel gegen die Assyrer werden Städte erwähnt, die zu Fall gekommen sind, darunter auch ein Ort namens Kalneh. „Historiker haben schon länger darüber spekuliert, dass mit Kalneh die Zerstörung von Kunulua gemeint sein könnte“, erklärt Harrison. Die jetzigen Funde könnten dies bestätigen.
(University of Toronto, 14.08.2017 – NPO)