Wasser bis in einen Kilometer Tiefe
Wie weit die Hranicka-Höhle tatsächlich reicht, haben nun Radek Klanica von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und seine Kollegen herausgefunden. Für ihre Vermessung setzten sie das gesamte Arsenal moderner geophysikalischer Methoden ein – von der Messung der elektrischen Leitfähigkeit, über Schwerefeld-Messungen bis hin zu einer Serie künstlich ausgelöster Mini-Erdbeben, durch die sie seismologische Daten über den Untergrund sammeln konnten.
Die Analysen enthüllten, dass der Hranicka-Abgrund zwischen 900 Meter und einem Kilometer tief sein könnte. Denn bis in diesen Bereich registrierten die Messungen die typischen Signaturen von mineralreichem Wasser oder wassergesättigtem Kalkgestein. „Diese Zone zeigt sich in den Leitfähigkeitsmessungen als nordwärts kippende Struktur mit geringem Widerstand, die bis in eine Tiefe von rund einem Kilometer reicht“, berichten Klanica und seine Kollegen.
Das bedeutet, dass der Hranicka-Abgrund rund doppelt so tief sein könnte wie bisher angenommen.
Grundwasser von unten oder Sickerwasser von oben?
Überraschend auch: Dieser fast senkrechte Einschnitt im Kalkgestein könnte anders entstanden sein als gedacht. „Typischerweise werden solche vertikalen Höhlen durch tiefes Grundwasser gebildet“, erklären die Forscher. Anders als bei vielen oberflächennahen Höhlensystemen löst dabei nicht das von oben einsickernde Regenwasser die Hohlräume in den Kalk. Stattdessen entstehen sie durch angesäuertes Wasser, dass aus den unteren Schichten der Erdkruste nach oben quillt.
Auch für den Hranicka-Abgrund ging man bisher von einer solche hypogenen Entstehung aus – auch weil das in der Höhle stehende Wasser klar tieferen Ursprungs ist. Doch die Durchleuchtung des Untergrund enthüllt dies nun als Irrtum. Denn wie die Forscher entdeckten, liegt unweit des Abgrunds ein schluchtähnlicher, heute mit Sedimentgestein gefüllter Graben im Kalkgestein. Diese Schlucht ist bis zu 900 Meter tief und reicht damit etwa bis zum Grund der zwei bis drei Kilometer entfernten Hranicka-Höhle.
Nahe Schlucht als Abfluss
Aus ihren Daten schließen Klanica und sein Team, dass die Schlucht vor rund 20 Millionen Jahren noch offen war und eine Art lokale Sammelstelle für durch den Karst strömendes Wasser bildete. Das Interessante daran: Die Erosion, die diese Schlucht formte, konnte auch die steilen Klüfte des Hranicka-Abgrunds gebildet haben. Anders als gedacht entstand diese Süßwasser-Höhle demnach durch die erodierende Kraft des von oben eindringenden Oberflächenwassers.
Als dann im mittleren Miozän, vor rund zwölf Millionen Jahren, das Meer vorübergehend in dieses Gebiet vordrang, änderte sich dies. Die Schlucht wurde von Sedimentablagerungen zugeschüttet und damit war auch der Abfluss des Wassers aus dem Hranicka-Abgrund blockiert. Gleichzeitig konnte auch das Grundwasser aus einer am Grund der alten Schlucht liegenden Quelle nicht mehr abfließen.
Das Grundwasser kam erst später
„Die Blockade dieser Quelle an der Basis der Karstzone erzwang einen Anstieg des Grundwasserspiegels, der bis heute anhält“, erklären die Forscher. Das führte dazu, dass auch der Pegel im Hranicka-Abgrund nach und nach stieg – die Höhle wurde mit Grundwasser geflutet. Anders als viele andere tiefe Süßwasser-Höhlen ist die Hranica-Höhle damit nicht hypogen entstanden, sondern wie viele flachere Karsthöhlen durch Oberflächenwasser.
„Die Bildung durch epigene statt hypogene Prozesse hat Bedeutung für die lokale und regionale Karstgeschichte auch anderer Karstgebiete mit tiefen Höhlensystemen“, konstatieren die Forscher. (Journal of Geophysical Reseach: Earth Surface, 2020; doi: 10.1029/2020JF005663)
Quelle: Journal of Geophysical Reseach: Earth Surface
11. September 2020
- Nadja Podbregar