Eine zunehmende weltweite Öffnung der Märkte für landwirtschaftliche Produkte lässt langfristig die Produktionskosten für Nahrungsmittel sinken. Dies geht aber zu Lasten von Umwelt und Klima, etwa wenn Wälder zu Äckern umgewandelt werden. Diesen Zielkonflikt zwischen Ernährung und Klimaschutz zeigen jetzt Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) für die Jahre 2005 bis 2045.
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Erstmals wurden dabei in einer gekoppelten ökonomischen und biophysikalischen Computersimulation umfassend die Effekte einer voranschreitenden Liberalisierung des Agrarhandels untersucht – die wirtschaftlichen Auswirkungen genauso wie die auf Landnutzung und Natur.
Drei Szenarien für den Welthandel der Zukunft
„Der Handel mit Getreide und Zucker, mit Soja und Fleisch hat sich seit 1950 mehr als verzehnfacht“, sagt Christoph Schmitz, Hauptautor der in der Fachzeitschrift Global Environmental Change veröffentlichten Studie. Sein Team hat drei Szenarien für den Welthandel der Zukunft durchgespielt, und dies mit Blick auf die unterschiedlichen Regionen der Erde.
„Die Folgen einer Ausweitung des globalen landwirtschaftlichen Handels für das Weltklima könnten drastisch sein – jedenfalls wenn nicht ergänzend neue Regeln eingeführt werden“, so Schmitz. Der wichtigste Grund hierfür: In einem liberalisierten Weltmarkt verschieben sich Produktionsgebiete hin zu tropischen Regionen, was dort zur Ausweitung der Agrarflächen zu Lasten der Natur führt.
Äcker statt Urwald am Amazonas?
Wenn der Welthandel bis 2045 von allen Schranken befreit würde, könnte in dem Zeitraum von vier Jahrzehnten die weltweite landwirtschaftliche Produktion um insgesamt etwa elf Billionen US-Dollar billiger werden als ohne diese – eine Einsparung von rund einem Zehntel. Zugleich stiege der Ausstoß von landwirtschaftlichen Treibhausgasen bis 2045 um rund 15 Prozent gegenüber einem Szenario ohne Ausweitung des Handels. Ein mittleres Szenario der Marktöffnung ergibt immer noch zusammen 6,5 Billionen US-Dollar an Einsparungen und fast zehn Prozent mehr klimaschädliche Emissionen. Die Umweltkosten sind also erheblich.
Lateinamerika wäre im Fall der Liberalisierung den Berechnungen zufolge der große Gewinner beim Export von Getreide und Ölsaaten – dies aber stärker als sonst irgendwo auf der Welt durch das Abholzen von Regenwald, weil die Ausweitung der Anbauflächen etwa im Amazonasgebiet entsprechend ausgeweitet würden. Nordamerika und Europa würden dann weniger exportieren. China könnte führend im Export von Fleisch werden. Bei der Tierhaltung zeigen die Berechnungen im Vergleich zu heute zwar einen starken absoluten Anstieg des Ausstoßes von Treibhausgasen, aber nur geringe Unterschiede zwischen den verschiedenen Handels-Szenarien.
Schutz von Wäldern ist Thema in Durban
„Die Lockerung von Handelsbeschränkungen kann unserer Analyse zufolge nicht einfach verdammt werden“, erklärt Hermann Lotze-Campen mit Blick auf die heftige aktuelle Debatte der Öffentlichkeit über Welthandel und kurzfristig schwankende Agrarpreise. Er ist Leiter des Forschungsprojekts zum Thema. „Liberalisierung kann der Welternährung nachhaltig nutzen, wenn zugleich auf internationaler Ebene Regeln geschaffen werden zur Eindämmung landwirtschaftlicher Umweltwirkungen.“
Aus ihrer Studie leiten die Wissenschaftler erstens ab, dass Regeln für Welthandel und Klimaschutz in den internationalen Verhandlungen nicht mehr getrennt behandelt werden sollten. „Hierüber könnte auch beim Klimagipfel gesprochen werden“, sagte Lotze-Campen. „Der institutionalisierte Schutz der Wälder ist entscheidend für die Erreichung ambitionierter Emissionsziele und ist einer der wichtigen Punkte auf der Tagesordnung in Durban.“ Dort findet vom 28. November bis zum 9. Dezember 2011 die Weltklimakonferenz (COP-17) statt.
Verschiedene Optionen möglich
Der Studie entsprechend sind verschiedene Optionen möglich. Vereinbarungen zur Handelsliberalisierung könnten in Zukunft einhergehen mit dem Schutz von Wäldern vor Abholzung. Zweitens sei die Kostenersparnis durch die billigere Nahrungsproduktion so groß, dass aus diesen Summen sehr gut Maßnahmen zum Klimaschutz bezahlt werden könnten; etwa Aufforstung oder die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen in der Landwirtschaft.
Umgekehrt wären Ausgleichszahlungen für einen weitgehenden Verzicht auf die Umwandlung von Wäldern in Ackerflächen zumindest rein rechnerisch gut finanzierbar aus den eingesparten Kosten für zusätzliche Emissionszertifikate.
Investieren in landwirtschaftliche Innovation
Eine umweltverträgliche Ausweitung der Agrarproduktion sei drittens nur machbar, wenn rasch deutlich mehr Geld in die Entwicklung besserer Anbaumethoden gesteckt werde, so die Forscher. „Die Investitionen in Ertragssteigerungen sind in den letzten Jahrzehnten zurückgefallen“, betont Lotze-Campen. Gerade in Entwicklungsländern lasse sich hier aber noch viel erreichen. „Wenn auf der gleichen Fläche mehr produziert werden kann, so dient dies am Ende beidem: der Sicherung der Welternährung wie auch dem Klimaschutz.“
(Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 25.11.2011 – DLO)