Verborgenes Gewicht: Tief unter der Oberfläche Kleinasiens hängt ein tektonisches Relikt – ein Rest des urzeitlichen Neotethys-Ozeans. Dieses längst versunkene Plattenstück reißt jedoch fortschreitend ab, wie Geologen herausgefunden haben. Unter der Türkei ist dieser Riss demnach schon vollzogen, unter dem Zagros-Gebirge im Irak dagegen nicht: Dort zieht das enorme Gewicht des ozeanischen Plattenstücks das Gebirgsvorland nach unten und hat eine besonders tiefe, sedimentgefüllte Senke erzeugt.
Von der östlichen Türkei bis an den Persischen Golf zieht sich eine unsichtbare Naht – die Grenze zwischen der Arabischen und der Eurasischen Erdplatte. Noch bis in die Kreidezeit vor gut 60 Millionen Jahren waren beide durch einen Ozean getrennt, die Neotethys. Doch durch die Nordwanderung Afrikas kam es zur Kollision. Der ozeanische Teil der Arabischen Platte – der Grund des Neotethys-Meeres – wurde dabei unter Eurasien geschoben und versank im Erdmantel.
Von der Subduktion zur Kollision
Doch vor rund 25 Millionen Jahren stockte diese Subduktion: Das ozeanische Neotethys-Plattenstück war nun vollständig subduziert. „Nun erreichte der kontinentale Teil der Arabischen Platte die Subduktionszone und kollidierte mit der Eurasischen Platte“, erklären Renas Koshnaw von der Universität Göttingen und seine Kollegen. Weil die kontinentale Kruste leichter und dicker ist, sank sie nicht ab, sondern stauchte sich – vom Osten der Türkei bis zum Persischen Golf türmte sich eine Gebirgskette auf.
An diesem Punkt setzt die Studie von Koshnaw und seinem Team an. Mithilfe geologischer und seismischer Analysen wurde untersucht, was unter dieser Nahtstelle zwischen Arabischer und Eurasischer Platte vor sich geht. Im Fokus stand dabei das Vorland des Zagros-Gebirges im Nordwesten des Irak. Dort hat sich durch die gewaltige Last der aufgetürmten Berge eine langgestreckte Senke gebildet. Sie ist drei bis vier Kilometer tief und nahezu vollständig mit Sediment gefüllt.
Neotethys-Rest zerrt an der Kruste
Das Merkwürdige jedoch: Diese Senke am Zagros-Gebirge ist tiefer als sie eigentlich sein dürfte, wie seismische Messungen ergaben. „Angesichts der relativ geringen Höhe des nordwestlichen Zagros-Gebirges war es überraschend, dass sich in unserem Untersuchungsgebiet so viel Sediment angesammelt hat. Das bedeutet, dass die Absenkung der Erdkruste dort größer ist, als durch die Last des Zagros-Gebirges erklärbar ist“, sagt Koshnaw.
Doch was ist der Grund dafür? Wie die Geologen herausfanden, steckt das alte Neotethys-Plattenstück hinter dieser Absenkung: Tief unter dem Zagros-Gebirge hängt dieser schwere, ozeanische Plattenteil noch immer an der Arabischen Platte. Sein Gewicht zieht die Erdkruste im Zagros-Vorland nach unten und fördert so die übermäßige Absenkung.
Plattenriss unter der Türkei
Aber das ist nicht überall so: Im nördlichen Teil dieser Kollisionszone – unter Anatolien – zeigte sich ein anderes Bild. „In Richtung Türkei wird die Senke viel flacher“, berichten die Geologen. Statt weiter abzusinken, hebt sich dort der Untergrund seit rund 15 Millionen Jahren wieder. Seismologische Daten zeigten zudem, dass der obere Erdmantel unter Anatolien deutlich heißer und weicher ist als unter dem Zagros-Gebirge.
„Das deutet darauf hin, dass die ozeanische Platte in diesem Bereich bereits abgerissen ist und ihre Zugkraft nachgelassen hat“, so Koshnaw. Das bedeutet: Unter der Türkei ist die Arabische Platte durchgerissen. Der versunkene ozeanische Teil hat sich vom kontinentalen Teil gelöst. „Dieser Riss scheint sich von der Türkei in Richtung Irak auszubreiten, ähnlich als wenn ein Blatt vom Kalender abgerissen wird“, erläutert Koshnaw.
Wie unten so oben
Diese Erkenntnisse beleuchten nicht nur, was unter Kleinasien und dem mittleren Osten geologisch vor sich geht. Sie verdeutlichen auch, wie stark Prozesse tief im Inneren unseres Planeten die Entwicklung der Erdoberfläche steuern: Die Form der Landschaft spiegelt die verborgenen unterirdischen Prozesse wider. „Diese Forschung hilft zu verstehen, wie die starre äußere Schale der Erde funktioniert“, sagt Koshnaws Kollege Jonas Kley.
Das von den Forschern entwickelte geodynamische Modell könnte aber auch einen ganz praktischen Nutzen haben: „Solche grundlegenden Untersuchungen ebnen den Weg für praktische Anwendungen, zum Beispiel die Suche nach Erzlagerstätten und geothermischer Energie oder um Erdbebenrisiken einzuschätzen“, so Kley. (Solid Earth, 2024; doi: 10.5194/se-15-1365-2024)
Quelle: Solid Earth, Georg-August-Universität Göttingen