Tektonisches Atlantis: Unter Südeuropa liegen die Reste eines versunkenen Kontinents verborgen, wie eine geologische Kartierung enthüllt. Die einst grönlandgroße Erdplatte „Greater Adria“ kollidierte vor rund 120 Millionen Jahren mit Europa und wurde dabei größtenteils in den Erdmantel hinabgedrückt. Doch Relikte dieses Kontinents sind in Südeuropa noch immer sichtbar – in den Gebirgen des Mittelmeerraums.
Südeuropa und der Mittelmeerraum haben eine bewegte geologische Geschichte hinter sich. Denn sie liegen direkt in der Kollisionszone von Afrikanischer und Eurasischer Erdplatte. Die Nordwanderung Afrikas ließ das einst große Tethysmeer zusammenschrumpfen, türmte die Alpen auf und zerbrach die Ränder beider Platten in unzählige Fragmente und Nahtstellen.
Eine Landmasse so groß wie Grönland
Doch bei der Kollision der beiden Kontinente gab es offenbar noch einen Partner, wie nun geologische Analysen von Douwe van Hinsbergen von der Universität Utrecht und seinem Team bestätigen. Demnach stammen viele Gesteine in den Gebirgen Südeuropas und in Teilen der Alpen von einem heute versunkenen Kontinent – „Greater Adria“. Dieser war einst so groß wie Grönland, kollidierte dann aber mit Europa und versank.
„Vergesst Atlantis. Ohne es zu merken, verbringen heute unzählige Touristen ihren Urlaub auf dem verlorenen Kontinent von Greater Adria“, erklärt van Hinsbergen. „Der einzig verbliebene Rest dieses Kontinents ist ein Streifen, der sich von Turin durch die Adria bis zur Ferse des italienischen Stiefels erstreckt.“ In den Gebirgszügen des Apennin, aber auch auf dem Balkan, in Griechenland und der Türkei sind Sedimentgesteine von Greater Adria erhalten.
Geschichte von Greater Adria rekonstruiert
Um das Schicksal von Greater Adria zu rekonstruieren, sammelten van Hinsbergen und sein Team zehn Jahre lang Daten zum Alter und der Magnetisierung von 2.300 Gesteinsproben, die von dem verlorenen Kontinent stammen könnten. Dann nutzten sie eine spezielle Software, Gplates, um auf Basis dieser Daten erstmals die Entwicklung und Tektonik von Greater Adria zurückzuverfolgen – keine leichte Aufgabe.
„Der Mittelmeerraum ist ein geologisches Trümmerfeld: Alles ist verbogen, gebrochen und übereinander gestapelt“, sagt van Hinsbergen. „Verglichen damit ist der Himalaya geradezu ein simples System.“ Hinzu kommt, dass die Relikte von Greater Adria heute über mehr als 30 veschiedene Länder verstreut sind. „Diese Region ist daher nicht nur in geologischer Hinsicht fragmentiert“, so der Forscher.
Von Gondwana nach Europa
Doch die Rekonstruktion gelang. Sie zeigt, dass sich Greater Adria vor rund 240 Millionen Jahren vom Superkontinent Gondwana ablöste und nach Norden zu wandern begann. Vor rund 140 Millionen Jahren lag diese Landmasse dann zwischen Afrika und Eurasien im Tethysmeer. Greater Adria war damals etwa so groß wie Grönland, aber zu großen Teilen von einem flachen tropischen Ozean bedeckt, wie die Forscher berichten.
Doch vor rund 120 bis 100 Millionen Jahren kam es zur Kollision: Greater Adria stieß mit Europa zusammen. Dabei wurden Teile der Sedimentauflage von Greater Adria abgeschabt und zu Gebirgen zusammengeschoben. „Die verformten Relikte der oberen Kilometer dieses verlorenen Kontinents sind daher noch immer in Gebirgszügen sichtbar“, sagt van Hinsbergen.
In den Erdmantel gedrückt
Der Rest der Landmasse drehte sich gegen den Uhrzeigersinn, wurde nach und nach fragmentiert und unter den Südrand unseres Kontinents gedrückt. „Der Rest dieses Kontinentstücks, das rund 100 Kilometer dick war, versank unter Südeuropa im Erdmantel“, berichtet van Hinsbergen. „Dort können wir diese Relikte mithilfe von seismischen Wellen bis in eine Tiefe von rund 1.500 Kilometern verfolgen.“
Von dem einst großen Kontinentstück Greater Adria ist damit nicht viel mehr geblieben als einige Gesteinsrelikte in südosteuropäischen Gebirgen und eine große Masse an Krustengestein im Erdmantel. (Gondwana Research, 2019; doi: 10.1016/j.gr.2019.07.009)
Quelle: Universität Utrecht