San Francisco, das türkische Izmit oder der Golf von Akaba: Das Tsunamirisiko für diese Orte könnte weit höher sein als gedacht. Denn sie alle liegen an Buchten, durch die eine Plattengrenze mit seitlicher Verschiebung läuft. Wie nun eine Studie enthüllt, können auch Beben an solchen Verwerfungen starke Tsunamis verursachen – entgegen der Lehrmeinung. Weil diese Bebenherde nahe der Küste liegen, bliebe dann kaum Vorwarnzeit.
Gängiger Lehrmeinung nach entstehen Tsunamis vor allem dann, wenn große Wassermassen abrupt verdrängt werden. Das kann durch einen submarinen Erdrutsch geschehen, einen Vulkanausbruch oder aber ein Erdbeben. Lange galten dabei vor allem Beben an auf- oder abschiebenden Plattengrenzen als gefährlich, weil sie den Meeresgrund beiderseits der Verwerfung hochschnellen oder absacken lassen. Seitliche Verschiebungen an Transformstörungen verursachen dagegen wenig vertikalen Versatz – sie galten daher als weniger bedrohlich.
„Mach-Kegel“ aus überlagerten Wellen
Doch hier liegt die Lehrmeinung offenbar falsch, wie nun Forscher um Ahmed Elbanna von der University of Illinois in Urbana–Champaign aufdecken. Anstoß für ihre Studie gab ein Seebeben vor Sulawesi, das im September 2018 einen verheerenden Tsunami auslöste und mehr als 4.000 Menschenleben forderte. Das Merkwürdige dabei: Ursache der Naturkatastrophe war eine transversale Verwerfung – eine Plattengrenze mit einem nur horizontalen Versatz.
Warum aber löste das Beben an dieser Verwerfung trotzdem einen so starken Tsunami aus? Erste Hinweise darauf lieferte 2019 die Feststellung, dass es sich bei dem Beben um ein sogenanntes Supershear-Ereignis gehandelt hatte – ein Beben, bei dem der Riss in der Verwerfung die von ihm erzeugten Scherwellen überholt. Dies erzeugt einen „Mach-Kegel“ aus sich überlagernden und verstärkenden Wellen, der besonders starke Deformationen des Untergrunds hervorruft.
Transversal-Beben in der Badewanne
„Die Frage ist daher, ob auch andere Transversal-Störungen große Tsunamis verursachen können“, so Elbanna und sein Team. „Das hat potenziell große Bedeutung, weil mehrere Metropol-Gebiete weltweit an Buchten liegen, die von solchen Transformstörungen durchquert werden.“ Zu diesen Ballungsräumen gehören neben San Francisco auch Izmit in der Türkei oder die Bucht von Akaba am Roten Meer. Sie liegen zudem an Verwerfungen, an denen auch schon Supershear-Beben registriert wurden.
Um die Gefahr einschätzen zu können, bildeten die Forscher die tektonische Situation in einem generalisierten Modell nach. Die Basis bildete eine flache, badewannenartige Bucht, die von einer transversalen Verwerfung durchzogen wird. Dann bildeten sie mithilfe geodynamischer und hydrodynamischer Gesetzmäßigkeiten nach, was bei einem Beben an dieser Verwerfung passiert.
Wie das Schütteln einer Kaffeetasse
Das Ergebnis: Während ein normales Erdbeben an einer solchen Verwerfung tatsächlich geringes Tsunamipotenzial hat, ist dies bei einem Supershear-Beben anders. Denn sein Wellenkegel löst Bewegungen des Untergrunds aus, die je nach Topografie der Bucht große Wassermassen in Bewegung versetzen können. Besonders ausgeprägt ist dies, wenn die Bucht von steileren Hängen umgeben ist.
Elbanna vergleicht den Effekt mit dem seitlichen Schütteln einer Kaffeetasse: Als Folge der horizontalen Bewegung und der Kollision mit der Tassenwand gerät die Flüssigkeit ins Schwappen. „Wenn sich ein Erdbeben in einer engen Bucht mit einer transversalen Verwerfung ereignet, dann schiebt und zieht die horizontale Bodenbewegung an den Rändern der Bucht“, erklärt der Forscher. „Das führt zu einer Verdrängung des Wassers in vertikaler Richtung und zur Initiation des Tsunami.“
Dabei entstehen auf den beiden Seiten der Verwerfung zwei einander entgegengesetzte Wellen. Liegt der Riss im Untergrund senkrecht zur Küste, kommt der Tsunami dadurch zeitversetzt an: Während auf einer Seite der Bucht das Wasser mehrere Meter steigt, fällt es auf der anderen zunächst ähnlich stark ab – um dann ebenfalls anzusteigen.
In einer Minute an der Küste
Besonders groß ist das Risiko dabei, wenn die Transformstörung in Küstennähe verläuft und eine Bucht parallel zur Küste oder aber senkrecht dazu quert, wie Elbanna und sein Team erklären. Dann kann es durch Interaktion mit der Topografie zu besonders starken und schnellen Tsunamiwellen kommen. Etwa eine Minute nach Beginn des Supershear-Erdbebens können sie eine knapp 35 Kilometer entfernte Küste überfluten – wie 2018 in Indonesien der Fall.
„Unser physikalisches Modell liefert damit entscheidende Einblicke in das Tsunamirisiko an einer Transversal-Verwerfung“, sagt Elbannas Kollege Mohamed Abdelmeguid. Die Simulation bestätigt, dass Städte in Regionen wie Nordkalifornien, der Türkei oder Ägypten stärker von einem Tsunami gefährdet sein könnten als bislang angenommen. „Es wird dabei vielleicht nicht aussehen wie im Hollywoodfilm ‚San Andreas‘, aber das Tsunamirisiko für Nordkalifornien und einige andere Orte weltweit muss neu überdacht werden“, so Elbanna. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 20321; doi: 10.1073/pnas.2025632118)
Quelle: University of Illinois at Urbana-Champaign