Mariner Raubbau: Auf der Suche nach Metall-Rohstoffen für Zukunftstechnologien haben einige Länder mit dem Untersee-Bergbau in den Schelfmeeren begonnen – den flachen, küstennahen Meeresgebieten der Kontinentalsockel. Doch anders als gerne behauptet, ist dieser Flachwasser-Bergbau kaum weniger umweltschädlich als der Tiefsee-Bergbau – und ähnlich schlecht reguliert, wie Forscherinnen berichten. Bei der Erforschung der Folgen und der Regulierung müsse dringend nachgebessert werden.
Ob Lithium, Metalle oder Seltene Erden: Der Rohstoffbedarf für unsere Technologien nimmt immer weiter zu, gleichzeitig schwinden die noch abbaubaren Vorkommen an Land. Deshalb wecken marine Ressourcen nun neue Begehrlichkeiten. In der Tiefsee, aber auch auf den flacheren Sockeln der Schelfmeere finden sich teilweise große Vorkommen von Metallerzen und anderen wichtigen Technologierohstoffen. Der Tiefsee-Bergbau ist jedoch wegen der potenziell schwerwiegenden Folgen für die Lebenswelt der Tiefsee stark umstritten und wegen des hohen Aufwands nur bedingt lukrativ.
Flachwasser-Abbau schon im Gange
Anders sieht dies beim Abbau von Rohstoffen in den Schelfmeeren aus: Dort ist das Wasser weniger als 200 Meter tief, was die Abbauarbeiten erleichtert. Weil in manchen Gebieten schon seit Jahrzehnten Sand und Gesteine aus dem küstennahen Meer absaugt und abgebaggert werden, gibt es das nötige Gerät meist schon. Zudem gilt die küstennahe Meeresumwelt als robuster und anpassungsfähiger als die sich nur langsam regenerierende Tiefsee.
„Die küstennahen Mineral-Ressourcen werden gerne als nachhaltiger Weg dargestellt, auf dem wir unseren steigenden Metallbedarf decken können“, erklären Laura Kaikkonen und Elina Virtanen von der Universität Helsinki. Weltweit sind bereits mehrere Untersee-Bergbauprojekte in Schelfgebieten angelaufen. Seit 2002 wird beispielsweise vor Namibia nach Diamanten geschürft, vor Indonesien fördert man zinnhaltige Erze aus 70 Meter Tiefe. „Diese Abbaggerung ist die größte marine Bergbau-Operation der Welt“, so die Forscherinnen.
Abbau-Pläne auch für die Ostsee
Weitere Untersee-Bergbau-Projekte sind in Planung oder beantragt: In Neuseeland sollen eisenhaltige Sande aus 20 bis 70 Meter Tiefe heraufgeholt werden, in Mexiko will man Phosphorit auf dem Meeresgrund abbauen. Und auch in der Ostsee wecken die Schelf-Rohstoffe Begehrlichkeiten: Vor der russischen Küste gab es bereits 2007 ein Testprojekt zur Extraktion von Eisen-Mangan-Ablagerungen, in Schweden hat ein Unternehmen in diesem Jahr die Genehmigung beantragt, polymetallische Knollen vom Grund des Bottnischen Meerbusens zu fördern.
Das Problem jedoch: Welche Folgen der Abbau der marinen Rohstoffe für die Ökosysteme der Schelfmeere hätte, ist bisher kaum untersucht – und gesetzliche Regelungen gibt es bisher kaum. „Weil der Flachwasser-Bergbau zuvor keine Rolle spielte, sind auch kaum Umweltschutz-Vorgaben dafür in der nationalen Gesetzgebung verankert“, erklären Kaikkonen und Virtanen. „Diese regulatorische Grauzone könnte daher als Chance genutzt werden, striktere Regeln zu umgehen.“
Eingriff in vorbelastete Hotspots der Artenvielfalt
Tatsächlich spricht einiges dafür, dass der Untersee-Bergbau in Schelfgebieten kaum weniger schädlich wäre als der Tiefsee-Bergbau – eher im Gegenteil, wie die Wissenschaftlerinnen warnen: „Auch wenn Schelfmeere nur einen kleinen Teil der globalen Ozeane repräsentieren, umfassen sie eine besonders hohe Vielfalt der Arten und Lebensräume und eine hohe biologische Produktivität“, erklären sie. Eingriffe in diese Systeme hätten daher potenziell weitreichende Folgen.
Hinzu kommt, dass der Rohstoff-Abbau zusätzlichen Druck auf die ohnehin schon stark belasteten küstennahen Ökosysteme ausübt. Meeresverschmutzung, Fischerei und andere menschliche Eingriffe setzen den Schelfmeeren ebenso zu wie die Folgen des Klimawandels. „Bei der Extraktion der Minerale wird das Sediment entfernt und mit ihm die Organismen des Meeresgrunds“, erklären sie. „Letztlich entfernt man das gesamte Habitat, was zu lokalem Aussterben von Spezies und Veränderungen der Artenzusammensetzung führen kann.“
„Pro-Abbau-Narrativ“
Die Forscherinnen warnen daher vor einer weitgehend unregulierten Ausweitung des Flachwasser-Bergbaus. „Selbst wenn es technologisch machbar ist, wäre eine solche Expansion von Eingriffen in die Meeresumwelt nicht mit einer nachhaltigen Nutzung der ozeanischen Ressourcen vereinbar“, konstatieren sie. Bevor die Langzeitfolgen des Rohstoff-Abbaus in Schelfgebieten nicht ähnlich gründlich untersucht werden wie in der Tiefsee, dürfe man damit nicht fortfahren.
„Die Behauptungen, Flachwasser-Bergbau hätte geringere Umweltfolgen, sind nicht von glaubhaften Untersuchungen unterfüttert, sondern von Hoffnungen und Annahmen, die ein Pro-Abbau-Narrativ stützen“, kritisieren Kaikkonen und Virtanen. Bisher gebe es nur wenig unabhängige Studien, die ohne finanzielle Unterstützung der Bergbau-Industrie durchgeführt wurden. Hier müsse dringend nachgebessert werden. (Trends in Ecology & Evolution, 2022; doi: 10.1016/j.tree.2022.08.001)
Quelle: Cell Press