Rätselhafte Pracht: Die Hochkulturen der Minoer und Mykener entstanden scheinbar aus dem Nichts. Jetzt haben Forscher das Geheimnis ihres Ursprungs gelüftet. DNA-Analysen verraten, dass beide Bronzezeit-Kulturen gemeinsame Wurzeln hatten und sich aus der lokalen Bevölkerung entwickelten. Die Mykener jedoch wurden zusätzlich von einwandernden Steppennomaden aus Zentralasien beeinflusst, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die Minoer und Mykener gehören zu den frühesten Hochkulturen Europas – und zu den geheimnisvollsten. Etwa ab 2600 vor Christus errichteten die Minoer auf Kreta ihre ersten Paläste. Scheinbar aus dem Nichts entstanden damals komplexe Siedlungen, die Bewohner schufen kunstvollen Schmuck, prachtvolle Fresken und nutzten eine Schrift (Linear A), die bis heute nicht entziffert werden konnte.
Ursprung und Untergang bis heute rätselhaft
Doch woher kamen die ersten Minoer? Diese Frage blieb lange ungeklärt. Einige Historiker vermuteten, dass vielleicht Einwanderer aus Ägypten oder anderen Hochkulturen des Nahen Ostens den plötzlichen Entwicklungsschub der kretischen Kultur anstießen. 2013 jedoch belegten DNA-Analysen von Toten aus minoischen Gräbern, dass dies nicht der Fall war: Die Minoer waren keine Afrikaner.
Ähnlich rätselhaft sind bis heute die Mykener: Ihre Kultur begann etwa 1700 vor Christus auf dem Peleponnes und dominierte nach dem Niedergang der Minoer die gesamte Ägäis. Auch die Mykener bauten Paläste und schufen eine eigene Schrift – die Linear B. Aus ihr entwickelte sich später das Griechische. Unklar ist jedoch, ob die mykenische Kultur und Schrift auf der minoischen basierte.
Bei beiden Hochkulturen ist zudem ungeklärt, warum sie untergingen. Die Macht der Minoer begann ab 1450 vor Christus plötzlich zu schwinden, möglicherweise durch die Folgen des verheerenden Vulkanausbruchs von Santorini. Das Reich der Mykener ging um 1200 vor Christus unter. Als Ursache dafür wird ein Klimawechsel vermutet, der damals auch andere Mittelmeerkulturen schwächte.
Blick ins bronzezeitliche Erbgut
Jetzt liefert ein Blick ins Erbgut neuen Einblick in die Ursprünge und Verwandtschaft dieser beiden rätselhaften Hochkulturen. „Wir wollten wissen, ob die Minoer und Mykener genetisch getrennte Völker waren oder nicht. Wie waren sie miteinander verwandt? Und wer waren ihre Vorfahren?“, erklärt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, einer der Studienleiter.
Um dies zu klären, analysierten die Forscher das Erbgut von zehn Minoern und vier Mykenern, deren Überreste in bronzezeitlichen Gräbern auf Kreta und dem griechischen Festland entdeckt worden waren. Zu Vergleichszwecken untersuchten sie die DNA dreier Anatolier aus der Bronzezeit, eines jungsteinzeitlichen Bauern vom Peleponnes und eines Kreters aus der Zeit nach den Mykenern. Die DNA moderner Menschen diente als zusätzlicher Vergleich.
Gemeinsame Wurzeln
Die Genanalysen enthüllten: Minoer und Mykener waren tatsächlich miteinander verwandt. Beide Kulturen wurden nicht von Einwanderern gegründet, sondern entwickelten sich vor Ort, wie die Forscher berichten. Der größte Teil ihres Erbguts stammte von jungsteinzeitlichen Bauern, die einst aus Anatolien eingewandert waren und die Landwirtschaft nach Europa brachten.
Ein kleinerer Anteil des Erbguts stammt dagegen aus dem mittleren Osten: „Minoer, Mykener und auch moderne Griechen haben Vorfahren, die zu den früheren Bewohnern des Kaukasus, von Armenien und dem Iran gehörten, berichtet Erstautor Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School in Boston. Die Menschen in der Ägäisregion – früher und heute – haben sich demnach aus den gleichen Wurzeln entwickelt.
..aber nicht gleich
Doch es gibt auch Unterschiede: Bei den Mykenern entdeckten die Forscher noch eine dritte Genbeimischung, die den Minoern fehlte. Sie stammt von den Steppennomaden, die in der Bronzezeit aus Zentralasien nach Europa einwanderten. Ihr Einstrom löste damals weitreichende kulturelle Veränderungen aus und legte den Grundstein für die indoeuropäischen Sprachen.
Der Fund der Steppenreiter-Gene bei den Mykenern könnte erklären, warum sie den heutigen Griechen und Europäern in Sprache und Schrift ähnlicher waren als die Minoer: Ähnlich wie andere Völker der damaligen Zeit auch wurden sie von den Einwanderern beeinflusst. Bis nach Kreta jedoch kamen die Steppennomaden nicht – daher fehlt ihr Einfluss bei den Minoern. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature23310)
(MPI für Menschheitsgeschichte, University of Washington, Howard Hughes Medical Institute, 03.08.2017 – NPO)