Verlorene Welt unter dem Eis: Unter dem kilometerdicken Eis der Ostantarktis haben Geologen eine weitgehend unberührte urzeitliche Landschaft entdeckt. Das von drei zerklüfteten Hochland-Rücken und mehreren verzweigten Flusstälern geprägte Gebiet entstand vor mehr als 34 Millionen Jahren, als die Antarktis noch eisfrei war. Dann wurde die Landschaft vom Eis überdeckt und konserviert. Die subglaziale Landschaft liefert damit wertvolle Einblicke in das Aussehen der Antarktis vor der Vereisung, aber auch in die Entwicklung des Ostantarktischen Eisschilds.
Heute bedeckt ein mehrere Kilometer dicker Eispanzer den Großteil des antarktischen Kontinents. Nur die Gipfel der höchsten Berge ragen heraus. Doch das war nicht immer so, wie Fossilfunde belegen: Noch bis in zum Ende der Kreidezeit gab es in der Antarktis Dinosaurier und frühe Vögel, am Südpol wuchs ein artenreicher Regenwald. Erst vor rund 34 Millionen Jahren kühlte das Klima soweit ab, dass sich in der Antarktis erste Gletscher und Eisflächen ausbreiteten. Vor rund 14 Millionen Jahren sanken dann die Temperaturen soweit, dass sich der geschlossene Eisschild bildete und bis heute erhalten blieb.
Was verbirgt sich unter dem Eis?
Doch was sich unter dem bis zu vier Kilometer dicken Eis verbirgt, ist größtenteils unbekannt. Denn subglaziale Topografie lässt sich nur über Radarmessungen, seismische Daten oder indirekt die Form und Bewegung der Eisoberfläche erschließen. Durch sie haben Forschende beispielsweise ein riesiges Vulkangebiet in der Westantarktis, große Canyons unter dem Südpol und die tiefste Schlucht der Welt entdeckt. Dennoch ist vieles noch eine Terra incognita– vor allem in der von besonders dickem Eis überdeckten Ostantarktis.
„Das Land unter dem Ostantarktischen Eisschild ist unbekannter als die Oberfläche des Mars“, sagt Erstautor Stewart Jamieson von der Durham University in England. Um dies zu ändern, haben er und sein Team Satellitendaten über die Eisoberfläche und den Eisfluss und radargestützte Techniken genutzt, um erstmals ein 32.000 Quadratkilometer großes Gebiet landeinwärts der großen Küstengletscher Denman und Totten zu kartieren. Das Areal grenzt an zwei besonders tief liegende subglaziale Senken im Osten der Ostantarktis.
Hochland und Täler aus der Zeit vor der Vereisung
Die Kartierung enthüllte: Unter dem Eis verborgen liegt eine überraschend unberührte, kaum von Gletschererosion geprägte Landschaft. Sie besteht aus drei Hochlandrücken, die 120 bis 170 Kilometer lang und bis zu 85 Kilometer breit sind. Die zerklüfteten, von spitzen Graten und Spitzen geprägten Hochebenen liegen heute rund 660 bis 850 Meter über dem Meeresspiegel, waren aber einst bis zu 1.200 Meter hoch, wie Jamieson und sein Team berichten.
Zwischen den drei Hochlandblöcken befinden sich fjordähnliche Täler, die bis zu 200 Meter unter dem Meeresspiegel liegen. „Die verzweigte Struktur dieser Täler deutet darauf hin, dass diese Landschaft von Flüssen geformt wurde“, berichten die Forschenden. Die Form der Verzweigungen legt zudem nahe, dass diese Täler nicht durch Schmelzwasser an der Unterseite des Eisschilds gebildet wurden, sondern schon weit früher entstanden sein müssen – zu einer Zeit, als dieses Gebiet noch eisfrei war. Zwar haben spätere Gletscher die Täler u-förmig ausgeschliffen, die Grundstruktur stamme aber aus der Zeit vor der Eisbedeckung, wie das Team erklärt.
Fast unverändert konserviert
Das bedeutet: Dieses unter dem Eis der Ostantarktis verborgene Gebiet bietet einen einzigartigen Blick auf die urzeitlichen Landschaften des Südkontinents. Denn anders als andere, von Gletschern erodierte Topografien, sind diese Täler und Hochlandrücken über Millionen von Jahre fast unverändert unter dem Eis der Antarktis konserviert geblieben. Jamieson und seine Kollegen schätzen, dass diese Landschaft schon mindestens 14 Millionen Jahre, wahrscheinlicher aber mehr als 34 Millionen Jahre alt ist.
„Diese lange vor unseren Augen verborgenen Landschaft kann uns daher viel über die frühe und lange Geschichte des ostantarktischen Eisschilds verraten“, sagt Koautor Neil Ross von der Newcastle University. So legt heutige Topografie des Gebiets nahe, dass sich das Eisschild über dieser Urzeit-Landschaft in den letzten rund 14 Millionen Jahren kaum bewegt oder verändert haben kann. Selbst in wärmeren Phasen zog sich das kilometerdicke Eis demnach selbst in dieser relativ tiefliegenden und küstennahen Region nicht völlig zurück.
Wie die Urzeit-Landschaft entstand
Wie aber begann die Geschichte dieser Landschaft – und wie wurde sie gebildet? Auch das haben Jamieson und sein Team rekonstruiert. Ihrem Szenario zufolge bildeten sich die ersten Flussläufe in diesem Gebiet schon vor mehr als 200 Millionen Jahren in der Zeit des Urkontinents Gondwana. „Die fluvialen Einschnitte bildeten sich durch tiefe Verwitterung in den warmen, feuchten Bereichen“, erklären Jamieson und sein Team.
Als dann Gondwana zerbrach, verursachte dies tektonische Verwerfungen, die die Hochlandblöcke aufwölbte und anhob. „Diese Anhebung muss vor der lokalen Vereisung erfolgt sein“, so die Forschenden. Zwischen den Gebirgsrücken prägten sich die Flusstäler weiter aus. Vor 34 Millionen Jahren kühlte sich das Klima dann soweit ab, dass die Landschaft zu vereisen begann. Dabei waren die Hochlandplateaus sehr früh dauerhaft eisbedeckt, in den Täler wechselten jedoch Episoden mit fließenden Flüssen mit Phasen, in denen Gletscher die Täler füllten und u-förmig ausschliffen.
Vor 14 Millionen Jahren dann entwickelte sich der kontinentweite Eisschild und überzog das gesamte Gebiet sehr schnell mit einem schützenden, dauerhaften Eispanzer. „Diese Landschaft hat überdauert, weil kein Rückzug des Ostantarktischen Eisschilds während vergangener Warmzeiten so weit landeinwärts bis in dieses Gebiet reichte“, erklärt das Team.
Es gibt noch mehr verborgene Landschaften
Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten unter dem Eispanzer der Antarktis noch weitere Urzeit-Landschaften erhalten geblieben sein. „Wir werden die subglaziale Topografie weiter erkunden und unser Bestes tun, um die Lücken in den bisherigen Kartierungen zu füllen“, sagt Jamieson. „Diese Informationen können uns dabei helfen zu verstehen, wie sich der Eisschild und die von ihm bedeckte Landschaft im Laufe ihrer langen Geschichte verändert haben.“ (Nature Communications, 203; doi: 10.1038/s41467-023-42152-2)
Quelle: Durham University