Frühe Jäger und Sammler waren weitaus effektiver organisiert als bisher gedacht. Das zeigen neue Asgrabungen an einem der größten urzeitlichen Erdbauwerke Nordamerikas, dem Mound A am Poverty Point in Louisiana. Bisher dachte man, dass die Menschen, die vor 3.200 Jahren diesen riesigen künstlichen Hügel aufschütteten, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dafür benötigten. Doch jetzt zeigt sich: Die vermeintlich so primitiven Nomaden errichteten den gigantischen Bau in weniger als 90 Tagen – eine nahezu unglaubliche Logistikleistung.
Die archäologische Fundstelle Poverty Point gilt als eine der frühesten und eindrucksvollsten Zeugnisse präkolumbianischer Baukunst. Das an einem Hang über dem Mississippi gelegene Areal umfasst auf einer Größe von rund 160 Hektar sechs große künstliche Hügel und sechs konzentrisch angeordnete Halbringe von mehr als einem Kilometer Länge. Bis zu eine Million Kubikmeter Erdreich wurden für diese gewaltige Anlage bewegt und aufgetürmt. Größtes Einzelbauwerk von Poverty Point ist der Mound A: Der T-förmige Hügel ragt mehr als zehn Meter in die Höhe und enthält knapp 240.000 Kubikmeter Erde – ein moderner Laster würde mehr als 30.000 Fuhren benötigen, um diese Menge Erde zu transportieren.
Und die Erde ist zudem keineswegs wahllos aufgeschüttet, wie archäologische Grabungen zeigen: Zunächst wurde der Bauplatz – ein Sumpfgebiet – durch Abbrennen von Vegetation befreit. Dann trugen die Erbauer eine dünne Schicht besonders feinen Lehm auf. Erst darüber häuften sie dann einzelne Hügel aus gröberer Erde auf, die nach und nach zu einer Masse zusammenwuchsen.
Acht Millionen Körbe mit Erde
Erbaut wurde Poverty Point durch Jäger und Sammler, die vor rund 3.200 Jahren in dieser Region lebten. Sie produzierten bereits einfache Keramiken und trieben wohl auch Handel über große Entfernungen hinweg. Bautechnisch allerdings waren die Poverty-Point-Leute nicht sehr fortgeschritten: „Diese Menschen hatten keinen Zugang zu domestizierten Zugtieren, keine Schubkarren oder anderen Werkzeuge, um große Mengen Erde zu bewegen“, erklärt Studienleiter T.R. Kidder von der Washington University in St. Louis.
Einziges Transportmittel der Mound A-Erbauer waren vermutlich einfache Körbe oder Säcke, die die Menschen auf dem Kopf oder in den Armen herantrugen und dann auf den wachsenden Hügel entleerten. Bei einer durchschnittlichen Füllmenge von 25 Kilogramm Erde wären acht Millionen Korbladungen nötig gewesen, um den Hügel zu errichten. Unter anderem deshalb glaubte man bisher, dass solche archaischen Bauwerke der Jäger-und-Sammler-Zeit Jahrzehnte bis Jahrhunderte für ihre Fertigstellung brauchten. Denn man traute den normalerweise nur aus 25 bis 30 Menschen bestehenden Nomadensippen größere logistische Leistungen nicht zu.
Gebaut zwischen zwei Regengüssen
Neue Ausgrabungen im Mound A zeichnen nun aber ein völlig anderes Bild: Kidder und seine Kollegen stellten bei der akribischen Analyse der Erdschichten fest, dass diese sehr schnell aufeinanderfolgend aufgeschichtet worden sein müssen. „Die Erde in diesem Hügel zeigt keinerlei Anzeichen für eine Erosion, beispielsweise durch einen während des Baus niedergegangenen Regenguss“, erklärt Kidder. In dieser Region Louisianas regne es aber damals wie heute sehr häufig. „Selbst in einem sehr trockenen Jahr ist es äußerst unwahrscheinlich, dass es an diesem Ort länger als 90 Tage am Stück trocken geblieben ist“, sagt Kidder. Dennoch sei der gesamte Hügel offenbar ohne Unterbrechung durch größere Regenperioden erbaut worden.
Die Archäologen schließen daraus, dass die vermeintlich wenig organisierten Nomaden den gesamten Mound A in nur 90 Tagen, vielleicht sogar in noch kürzerer Zeit errichteten. Das aber bedeutet, dass sich eine gewaltige Menschenmenge für den Bau zusammengefunden haben musste. Mindestens 3.000 Arbeiter, so schätzen die Archäologen, müssen nahezu Vollzeit daran gearbeitet haben. Da sie vermutlich von ihren Familien begleitet wurden, könnten während der Bauperiode bis zu 9.00 Menschen am Poverty Point gelebt und gearbeitet haben.
„Das widerspricht der lange etablierten Annahme, dass diese frühen Jäger-und-Sammler-Kulturen gar nicht die politische und soziale Organisation besaßen, um eine Arbeit durch so viele Menschen in so kurzer Zeit durchführen zu lassen“, sagt Kidder. Die jetzt gewonnen Erkenntnisse seien der erste Beleg dafür, dass die frühen Nomadenvölker Nordamerikas weitaus weniger einfach gestrickt waren als bisher gedacht. „Wir müssen einsehen, dass das soziale Gefüge dieser Gesellschaften stärker und komplexer war, als wir es ihnen zugetraut haben“, so der Forscher. (Geoarchaeology, 2013; doi:10.1002/gea.21430)
(Washington University in St. Louis, 01.02.2013 – NPO)