Erdgeschichte

Verdanken wir unsere Artenvielfalt den Würmern?

Möglicher Auslöser für Evolutions-Turbo vor 460 Millionen Jahren gefunden

Meer im Ordovizium
Meereswürmer könnten vor 460 Millionen Jahren einen großen Schub der Artenvielfalt ausgelöst haben. © Fritz Geller-Grimm/CC-by-sa 2.5

Unerwartete Helfer: Paläontologen könnten herausgefunden haben, warum die irdische Artenvielfalt vor rund 460 Millionen Jahren förmlich explodiert ist. Auslöser waren demnach im Meeresboden wühlende Würmer und andere Wirbellose, die dadurch eine Kette geochemischer Prozesse in Gang setzten. Diese führten dazu, dass unser Planet sauerstoffhaltiger und lebensfreundlicher wurde, wie das Team berichtet.

Die Evolution im Erdaltertum war geprägt von erheblichen Tempo-Unterschieden. Es gab Zeiten wie die Kambrische Explosion vor 540 Millionen Jahren, während der sich innerhalb kürzester Zeit die Vorfahren aller heutigen großen Tiergruppen entwickelten. Und es gab Zeiten, in denen überspitzt gesagt sehr lange Zeit nur wenig geschah – eine Flaute der Artbildung sozusagen. Was genau die Evolution jeweils dazu veranlasste, vom Schlummermodus aufs Gaspedal und wieder zurück zu springen, bleibt allerdings rätselhaft.

Ein geheimnisvoller Evolutions-Turbo

Einer der bedeutendsten solchen Wechsel fand im Zeitalter des Ordoviziums vor 460 Millionen Jahren statt. Wie Fossilien dieser Zeit verraten, stieg die Artenvielfalt damals nach rund 80 Millionen Jahren „Pause“ auf einmal sprunghaft an. Im Rekordtempo entstanden zahlreiche neue Meereslebewesen, darunter die Vorläufer der Muscheln und Schnecken. Und auch an Land fasste das Leben in Form primitiver Pflanzen und Gliederfüßer immer mehr Fuß. Aber weshalb ausgerechnet in diesem Zeitabschnitt?

Um mehr über die genauen Gründe für den damaligen Evolutions-Turbo zu erfahren, haben Forschende um Kalev Hantsoo von der Johns Hopkins University in Baltimore nun die Umweltbedingungen im Meer des Ordoviziums rekonstruiert. Dafür wertete das Team mehrere Sedimentproben aus der Chesapeake Bay aus – einer großen Flussmündung im US-Bundesstaat Maryland, die als gutes Modell für die frühen Meere gilt.

Dem Katzengold auf der Spur

Der besondere Fokus von Hantsoo und seinen Kollegen lag dabei auf dem Pyritgehalt der Sedimente und inwiefern er mit dem Grad der Sedimentdurchmischung zusammenhängt. Das Eisensulfid Pyrit (FeS2) – auch Katzengold genannt – verwittert chemisch, wenn es mit Sauerstoff in Kontakt kommt, sowohl an Land, aber auch im sauerstoffreichen Wasser. Dadurch erlaubt sein Vorkommen im Untergrund Rückschlüsse auf den Sauerstoffgehalt vergangener Zeiten und somit auch auf deren Lebensfreundlichkeit.

Umgekehrt hat die Präsenz von Pyrit jedoch auch Auswirkungen auf den Sauerstoffgehalt in seiner Umgebung. Denn wenn viel Pyrit unter Schlamm, Schlick oder Sand begraben wird, hemmt dies die Pyritverwitterung. Als Folge wird weniger Sauerstoff gebunden, weniger CO2 freigesetzt und der Sauerstoffgehalt der Meere und der Atmosphäre steigt. Den Pyritgehalt früher Sedimente zu kennen, könnte somit auch Hinweise auf die Gründe für die Explosion der Artenvielfalt vor 460 Millionen Jahren liefern.

Perfekte Mischung als Schlüssel

Und tatsächlich: Wie die Forschenden anhand der Sedimentproben herausgefunden haben, stieg der Sauerstoffgehalt vor 460 Millionen Jahren auf einmal steil an, nachdem er über Millionen Jahre hinweg stabil geblieben war. Doch warum? Besonders viel Pyrit fand das Team an jenen Stellen, an denen die Sedimentdurchmischung nur wenige Zentimeter tief reichte. Das wenigste Katzengold verbarg sich wiederum an Stellen mit starker oder gar keiner Durchmischung.

Daraus schlussfolgern Hantsoo und seine Kollegen, dass während des Ordoviziums ein gesundes Mittelmaß an Sedimentdurchmischung geherrscht haben muss, das schließlich den Sauerstoffgehalt des Planeten steigerte und so eine Explosion der Artenvielfalt in Gang setzte. „Es ist wie bei Goldlöckchen. Die Bedingungen müssen genau richtig sein“, erklärt Hantsoo. „Man muss ein wenig mischen, um den Sauerstoff in das Sediment zu bringen, aber nicht so viel, dass der Sauerstoff den gesamten Pyrit zerstört und es keine Nettobildung gibt.“

Würmer als Lebensspender?

Hantsoo und seine Kollegen haben sogar einen konkreten Verursacher dieses Wunders im Verdacht: winzige Meereswürmer und andere wirbellose Tiere, die einst den Meeresboden auf der Suche nach Futter und Schutz durchwühlten. Dabei schufen sie offenbar die ideale Sedimentdurchmischung und steigerten so letztlich den Sauerstoffgehalt des gesamten Planeten.

„Es ist wirklich unglaublich, wie so kleine Tiere, die es heute gar nicht mehr gibt, den Verlauf der Evolutionsgeschichte auf so tiefgreifende Weise verändern konnten“, sagt Koautorin Maya Gomes, ebenfalls von der Johns Hopkins University. (Geochimica et Cosmochimica Acta, 2024; doi: 10.1016/j.gca.2024.04.018)

Quelle: Johns Hopkins University

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