Kaum entdeckt, drohen sie schon wieder zu verschwinden: Erst 2010 hatten Forscher die Nördlichen Gelbwangengibbons in Vietnam aufgespürt. Jetzt zeigt eine neue Studie, dass diese Tiere ebenso wie die fünf weiteren in Vietnam beheimateten Gibbonarten akut vom Aussterben bedroht sind. Nur besserer Schutz ihrer Reservate könne die Tiere noch retten, warnen die Primatenforscher.
Ein Team aus Wissenschaftlern des Deutschen Primatenzentrums (DPZ), von Fauna und Flora International und von Conservation International hat in den schwer zugänglichen Bergwäldern Vietnams die aktuelle Verbreitung der Gibbons untersucht. Es ist die erste umfassende Studie zu Gibbons in Vietnam seit mehr als zehn Jahren. Jetzt haben sie ihre besorgniserregenden Erkenntnisse veröffentlicht. „Die neuen Daten zeigen ganz klar, dass die Bestände fast aller Gibbonarten in Vietnam stark zurückgegangen sind und die Tiere auf der roten Liste als „stark gefährdet“ oder „gefährdet“ gelistet werden müssen“, sagt Christian Roos, Biologe in der Abteilung Primatengenetik am DPZ.
Affen-Volkszählung anhand der Gesänge
Seine Kollegen, die in Vietnam die Menschenaffen gezählt haben, hatten einen anstrengenden Job. Gegen vier Uhr morgens machten sich die Teams aus Wissenschaftlern und Rangern in zehn Gebieten im Dschungel von Vietnam auf den Weg zu ihren Lauschposten auf den umliegenden Bergen: Gezählt haben sie die Affen nämlich anhand ihres markanten Gesangs während der Morgendämmerung und am späten Morgen. „Die Kollegen mussten schwüle Hitze und Moskitos ertragen und immer wieder durch Flüsse waten, weil es dort keine Brücken gibt“, erzählt Roos.
Neben dem Nördlichen Gelbwangengibbon leben in Vietnam noch der Südliche Gelbwangengibbon, der Östliche und Westliche Schopfgibbon und der Nördliche und Südliche Weißwangengibbon. Gibbons gehören zu den Menschenaffen. Die Gibbons sind zum großen Teil aus ihrem historischen Verbreitungsgebiet in Vietnam verschwunden und die wenigen überlebensfähigen Populationen sind auf einzelne Reservate beschränkt. „Einige der Arten leben auch auf dem Gebiet angrenzender Länder wie Laos oder China, aber auch diese zusätzlichen Populationen, die nicht in unsere Studie eingeflossen sind, ändern nichts an der verheerenden Bilanz“, sagt Roos.
Verlust des Lebensraums ist die größte Gefahr
Illegale Jagd, Wildtierhandel und Lebensraumverlust durch Landumwandlung haben die dramatische Verringerung der Bestände vorangetrieben. Sogar in den Reservaten nimmt der Mensch den Gibbons ihren Lebensraum: durch illegales Holzfällen, landwirtschaftliche Eingriffe und Infrastrukturentwicklungen wie Dämme für Wasserkraft oder Straßen. Die Gibbons, die trotz dieser Einschränkungen noch in den Reservaten leben, sind von Jägern bedroht. „Wilderer jagen Gibbons, um sie auf dem Haustiermarkt zu verkaufen und um aus ihnen medizinische Produkte ohne nachgewiesene Heilwirkung herzustellen“, erklärt Christian Roos.
Die Lage der Gibbons in den Reservaten verbessern könne nur die Regierung in Vietnam. „Die Ranger müssen besser ausgebildet und besser bezahlt werden“, mahnt Roos. Außerdem bräuchten sie bessere Ausrüstung, um mit den Wilderern mithalten zu können: GPS-Systeme, Waffen und Kleidung. Auch das Management der Reservate müsse effektiver werden und unter anderem besser dokumentieren, wo genau gewildert wird.
(Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung, 09.08.2012 – NPO)