Ungewöhnliches Fossil: Paläontologen haben in China einen 520 Millionen Jahre alten Urzeit-Gliederfüßer entdeckt, dessen Nervensystem ungewöhnlich gut erhalten ist. Neben dem perlschnurartigen Bauchstrang sind sogar noch die abgehenden Nervenfasern zu erkennen. Sie belegen erstmals, dass das Nervensystem der Arthropoden im Laufe der Evolution nicht komplexer, sondern immer kompakter wurde.
Im Jahr 2012 sorgte ein Fossilfund aus China für Aufsehen: Forscher hatten den 520 Millionen Jahre alten Urzeit-Gliederfüßer Fuxianhuia protensa entdeckt, dessen noch erhaltenes Gehirn erstaunlich stark dem von modernen Krebsen glich. Ein Jahr später wurde aus der gleichen Zeit ein Vorfahre der Spinnentiere entdeckt, dessen Gehirn ebenfalls bereits dem seiner fernen Nachfahren ähnelte.
Unklar blieb aber bei diesen Funden, ob auch der Rest des Nervensystems dieser Urzeitwesen aus dem Kambrium ebenfalls schon der der heutigen Arthropoden glich. Eine Antwort darauf liefert nun ein weiterer Fossilfund in Südchina. Jie Yang von der Universität Yunnan und seine Kollegen haben dort einen 520 Millionen Jahre alten Verwandten von Fuxianhuia entdeckt, bei dem nicht nur das Gehirn, sondern sogar einzelne Nervenstränge erhalten sind.
Dunkle Perlschnur am Bauch
Chengjiangocaris kunmingensis, so der Name des neuen Funds, ähnelte ebenso wie sein enger Verwandten den heutigen Krebsen. Er besaß einen breiten, herzförmigen Kopfschild und einen segmentierten Körper mit rund einem Dutzend Beinpaaren. Als die Paläontologen jedoch das Fossil näher untersuchten, bemerkten sie eine dunkle, perlschnurartig geformte Struktur, die das Tier an der Bauchseite einmal längst durchzog.
„Seine segmentale Organisation und die Lage an der ventralen Mittellinie identifizieren dieses Merkmal als den ventralen Nervenstrang“, sagen Yang und seine Kollegen. Dieser Bauchstrang hat bei Insekten und anderen Arthropoden in etwa die Funktion unseres Rückenmarks und bildet einen wichtigen Teil des zentralen Nervensystems.
Sogar die Nervenwurzeln sind erhalten
Aber das war noch nicht alles: An einigen der segmentalen Knotenpunkte dieses Bauchstrangs, den Ganglien, entdeckten die Paläontologen feine Fasern, die von diesen Verdickungen abgingen. „Diese Fasern zeigten ein hochgradig regelmäßiges Verteilungsmuster“, erklärt Koautor Javier Ortega-Hernandez von der University of Cambridge. „Wir wollten daher wissen, ob sie aus dem gleichen Material bestehen wie die Ganglien.“
Mit Hilfe der Fluoreszenz-Mikroskopie prüften die Forscher die Zusammensetzung der Fasern und stellten fest: „Bei diesen Fasern handelt es sich um einzelne Nerven, die als Kohlenstofffilm konserviert wurden“, so Ortega-Hernandez. Zum ersten Mal hatten Paläontologen damit nicht nur das Gehirn eines kambrischen Ur-Arthropoden vor sich, sondern sogar Teile der vom zentralen Nervensystem ausgehenden Nervenwurzeln.
Vom Ausführlichen zum Einfachen
„Das liefert uns einen einzigartigen Einblick darin, wie die urzeitlichen Nervensysteme aussahen“, sagt Ortega-Hernández. Denn wie sich anhand des Fossils von Chengjiangocaris kunmingensis zeigt, war das Gehirn dieser Gliederfüßer zwar schon relativ modern, ihr restliches Nervensystem aber noch nicht. Denn bei heutigen Arthropoden sind die meisten der vom Bauchstrang ausgehenden Nerven reduziert, das Nervensystem ist dadurch kompakter und stärker vereinfacht.
Der kambrische Arthropode Chengjiangocaris kunmingensis besaß dagegen noch alle segmentalen Einzelnerven. Er ähnelte damit eher den heute noch lebenden, sehr urtümlichen Peniswürmern und Stummelfüßern.
Die Paläontologen schließen daraus, dass die segmentalen Nervenwurzeln die ursprüngliche Form des Arthropoden-Nervensystem darstellen und diese im Laufe der Evolution immer weiter vereinfacht wurde. „Diese Fossilien helfen uns damit sehr, besser zu verstehen, wie sich das Nervensystem entwickelt hat“, so Ortega-Hernandez. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1522434113)
(University of Cambridge, 01.03.2016 – NPO)