Bei unseren frühen Vorfahren waren die Frauen das umtriebigere Geschlecht, die Männer blieben dagegen als „Nesthocker“ in ihrer gewohnten Gruppe und Umgebung. Das belegt eine jetzt in „Nature“ erschienene Studie anhand der Isotopen-Zusammensetzung fossiler Zähne von Australopithecinen. Demnach stammten die weiblichen Vormenschen meist nicht aus der näheren Umgebung ihres Fundorts, die Männer dagegen schon. Diese Dynamik ähnelt damit der der heutigen Schimpansen und Bonobos, nicht aber den männerdominierten Gruppenstrukturen der Gorillas und meisten anderen Primaten.
Wie unsere frühen Vorfahren die Umgebung nutzten, in der sie lebten, und wie sie sich innerhalb und zwischen verschiedenen Gebieten bewegten, dazu liefern paläontologische und archäologische Methoden bisher nur wenige konkrete Belege. Wissenschaftler sind daher auf indirekte Hinweise wie den Körperbau, die Herkunftsort des Rohmaterials von Steinwerkzeugen oder den Vergleich von lebenden Primaten mit abstammungsgenetischen Modellen angewiesen. Mit Hilfe einer neuen Methode hat nun ein internationales Forscherteam unter Leitung von Sandi Copeland von der Universität von Colorado in Boulder neue, überraschende Erkenntnisse gewonnen.
Strontium-Isotope im Zahn verraten Lebensumfeld
Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler 2,7 bis 1,7 Millionen Jahre alte Zähne der beiden Vormenschenarten Paranthropus robustus und Australopithecus africanus untersucht, die aus Höhlen bei Sterkfontein und Swartkrans in Südafrika stammen. Ein Teil der Zähne – erkennbar an der geringeren Größe – stammte dabei von weiblichen, ein anderer Teil von männlichen Individuen. Aufschluss über den jeweils bewohnten Lebensraum gab die Analyse von Strontium-Isotopen im Zahnschmelz dieser fossilen Zähne. Strontium wird aus der Umwelt als Spurenelement mit der Nahrung und dem Trinkwasser aufgenommen und unter anderem für die Mineralisierung der Zähne gebraucht.
Über den Vergleich der Strontium-Signaturen von Pflanzen und Boden im 50 Kilometer Umkreis der Höhle mit den Isotopenwerten der fossilen Zähne lässt sich daher ermitteln, ob und in welchem Ausmaß unsere Vorfahren nach abgeschlossener Zahnentwicklung und damit nach ihrer Kindheit ihren Lebensbereich erweitert haben. Um die Zusammensetzung der Strontium-Isotope im Zahnschmelz der Homininen zu untersuchen, nutzten die Forscher – zum ersten Mal bei fossilen Vormenschen – die Methode der Laserablations- Massenspektrometrie. Diese Variante der Isotopen-Massenspektrometrie gewinnt winzigste Mengen biologischer Proben mit Hilfe eines Lasers. Auf der beprobten Zahnschmelzoberfläche der kostbaren Fossilien hinterließ dieses Verfahren kaum sichtbare Spuren.
Vormenschenfrauen wechselten die Gruppe
Die Auswertung ergab Überraschendes: Die Vormenschenfrauen verließen offenbar sehr viel häufiger als ihre männlichen Artgenossen ihr Kindheitsumfeld und schlossen sich einer neuen sozialen Gruppe an. Denn mehr als die Hälfte der weiblichen Zähne beinhaltete Strontium-Signaturen, die nicht aus der Umgebung der Höhle stammten. Bei den Männern dagegen lag der Anteil der „Fremd-Isotope“ nur bei zehn Prozent.
„Hier haben wir nun den ersten direkten Einblick in die geografischen Bewegungen unserer Vorfahren und es scheint, als wenn die Weibchen vorzugsweise ihre angestammte Gruppe verließen“, erklärt Copeland. Gerade die Ortsfestigkeit der männlichen Vormenschen erstaunt sie: „Wir hätten erwartet, dass mehr Hominiden aus nicht-lokalen Gebieten kommen, denn allgemein gilt die Möglichkeit, über weitere Strecken zu wandern als eine Triebkräfte für die Entwicklung des zweibeinigen Ganges. Dieses kleine Heimatgebiet könnte darauf hindeuten, dass sich die Zweibeinigkeit aus ganz anderen Gründen entwickelte.“
Anders als bei Gorillas und den meisten Primaten
Das Verbreitungsmuster der Vormenschenfrauen ähnelt dem von Schimpansen, Bonobos und vielen Menschengruppen, weicht aber von den meisten anderen Primaten, darunter auch den Gorillas, ab. Bei diesen werden die Gruppen von einem oder wenigen Männchen dominiert und nur die jungen Männchen ziehen weg, die Weibchen bleiben in der Gruppe, in die sie hineingeboren wurden. Die Sozialstruktur von Lucy und Co. muss sich dagegen deutlich von dieser unterschieden haben, denn hier wanderten offenbar die Frauen. „Mit dem Wissen um die Verbreitungsmuster bekommen wir nun auch ein besseres Verständnis der sozialen Struktur der frühen Hominiden“, erklärt Copeland. (Nature, 2011; doi:10.1038/nature10149)
(University of Colorado, Universität Zürich, 03.06.2011 – NPO)