Der Vormensch Paranthropus boisei galt wegen seiner robusten Kiefer als „Nussknackermann“. Doch der Vetter unserer frühen „Homo“-Vorfahren war offenbar weniger Nussknacker als eher Urzeit-Kuh: Er ernährte sich vorwiegend von Gras, wie jetzt eine in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschienene Isotopenanalyse von Zahnschmelzproben belegt. Die für einen Hominiden äußerst ungewöhnliche Ernährung und die damit verbundenen Lebensraumpräferenzen könnten erklären, warum sich diese Vormenschengattung als evolutionäre Sackgasse erwiesen hat.
Vor rund 2,5 Millionen Jahren ereignete sich in Afrika eine wichtige Weichenstellung in der Evolution des Menschen: Die Vormenschen-Gattung Australopithecus entwickelte sich weiter und teilte sich in zwei Linien: Aus einer entwickelte sich die Gattung Homo, die später zum modernen Menschen führen sollte. Aus der anderen Stammeslinie entstand die Gattung Paranthropus, zu der vor rund einer Million Jahren auch der Paranthropus boisei gehörte. Auffallend an ihm: Er besaß extrem große und starke Kiefer und die flachsten Backenzähne aller bekannten Hominiden.
Kohlenstoffisotope im Zahnschmelz verraten Nahrungspräferenzen
Wegen dieser Besonderheit galt Paranthropus boisei lange Zeit als der „Nussknackermann“, Anthropologen nahmen an, dass sich dieser „Vetter“ unserer direkten Vorfahren vorwiegend von Nüssen, Samen und hartschaligen Früchten ernährt haben muss. Doch genau diese Annahme hat jetzt ein internationales Forscherteam unter Leitung von Thure Cerling von der Universität Utah widerlegt. Für ihre Studie entnahmen und analysierten die Wissenschaftler winzige Zahnschmelz-Proben von 22 Zähnen des Paranthropus boisei, die in Mittel- und Nordkenia gefunden worden waren.
Die im Zahnschmelz eingelagerten Kohlenstoffisotope geben Aufschluss darüber, welche Pflanzengruppen ein Tier zu seinen Lebzeiten zu sich genommen hat. In tropischen Regionen nutzen alle fruchttragenden Bäume und Büsche den so genannten C-3-Stoffwechselweg, um mittels Photosynthese Sonnenlicht zu chemischer Energie zu machen. Die meisten Savannengräser und einige Riedgräser jedoch verwenden vorwiegend den C-4-Stoffwechselweg. Je mehr Nahrung eines Typs ein Organismus zu sich nimmt, desto höher ist auch der Anteil des betreffenden Kohlenstoffisotops im Zahnschmelz.
Paranthropus boisei war Grasfresser
Die Isotopenanalyse der Paranthropus boisei-Zähne enthüllt prompt Überraschendes: Der Vormensch ernährte sich nicht, wie angenommen von Früchten und Nüssen, sondern hat zu 77 Prozent Gras gefressen. Die Isotopensignaturen waren nahezu identisch mit denen großer Weidegänger aus dieser Zeit wie Urzeit-Zebras, Warzenschweinen oder Nilpferden.
„Sie aßen quasi am gleichen Tisch“, erklärt Cerling. „Der hohe Anteil von C-4-Vegetation in der Nahrung von Paranthropus boisei unterscheidet ihn von allen anderen bekannten Hominiden, selbst von seinem engsten Verwandten Paranthropus robustus“, ergänzt sein Kollege Kevin Uno, ebenfalls von der Universität Utah. Offenbar waren die starken Kiefer und flachen Zahnstrukturen nicht, wie zuvor angenommen, Anpassungen an hartschalige Kost, sondern eher an das ständige Abweiden von zähem Savannengras.
Primaten-Äquivalent einer Kuh
„Ehrlich gesagt haben wir nicht erwartet, das Primaten-Äquivalent einer Kuh an einem entfernten Ast unseres Stammbaums zu entdecken“, erklärt Matt Sponheimer, Anthropologe an der Universität von Colorado in Boulder. „Glücklicherweise hat die Arbeit mehrerer Forschungsgruppen in den letzten Jahren die vorherrschende Meinung über die Ernährung der frühen Hominiden begonnen zu verändern“, erklärt Sponheimer. „Wenn wir unsere neuen Ergebnisse vor 20 Jahren auf einem wissenschaftlichen Meeting vorgestellt hätten, wären wir aus dem Raum gelacht worden.“
Vormensch in der evolutionären Sackgasse
Paranthropus boisei und auch sein Verwandter, Paranthropus robustus, erwiesen sich als evolutionäre Sackgasse. Beide zu den „robusten“ Australopithecinen zählenden Vormenschentypen starben aus, ohne Nachfolgearten zu hinterlassen. Warum, ist bisher noch nicht klar. „Ein Schlüsselergebnis unserer Studie ist, dass sich die Ernährung dieses Hominiden fundamental von der aller anderen lebenden Affen unterschied und dass er daher vermutlich auch sehr unterschiedliche Lebensräume favorisierte“, erklärt Sponheimer. „Zu wissen, wo diese urzeitlichen Kreaturen lebten und was sie aßen, hilft uns zu verstehen, warum einige Hominiden Nachkommen hinterließen und andere nicht.“
Was aber könnte das Ende der Paranthropus-Linie verursacht haben? Nach Ansicht der Forscher könnte es die Konkurrenz zur parallel neu entstandenen Gattung Homo gewesen sein. Dieser entwickelte bereits deutlich fortgeschrittenere Fähigkeiten der Nutzung und Herstellung von Knochen- und Steinwerkzeugen. Aber auch andere Gründe kommen in Betracht, darunter beispielsweise ein deutlich geringere Reproduktionsrate der Paranthropus-Arten.
(University of Colorado at Boulder, 03.05.2011 – NPO)