Es gilt als die älteste Karte der Welt: Ein Wandgemälde in der rund 9.000 Jahre alten Steinzeit-Siedlung Çatalhöyük in Anatolien zeigt ein Stadtplan-ähnliches Muster, darüber etwas, das einem stilisierten Vulkanausbruch gleicht. Letzteres war aber bislang umstritten. Jetzt weist ein internationales Forscherteam nach, dass vor rund 8.900 Jahren tatsächlich ein Vulkan in der Nähe ausbrach. Die Eruption des Hasan Dagi bestätigt damit die Interpretation des Wandbilds als Karte, so die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“.
Auf der Hochebene Anatoliens, knapp 40 Kilometer südöstlich der Stadt Konya, liegt eine der ältesten Großsiedlungen der Menschheit: Çatalhöyük. Bis zu 2.500 Menschen lebten hier in der Zeit zwischen 7.400 und 6.200 vor Christus in eng beieinander stehenden Lehmhäusern. 1963 machte der britische Archäologe James Mellaart in einem dieser Gebäude einen überraschenden Fund: Er stieß auf eine ungewöhnliche Wandmalerei. Sie zeigt ein drei Meter breites geometrisches Muster, das einem Stadtplan gleicht. Darüber ist eine gepunktete Fläche mit zwei kegeligen Auswüchsen zu sehen. Von diesen beiden Kegeln gehen dünne Linien und Punkte nach oben.
Leopardenfell oder Karte?
Mellaart hielt dieses Bild zunächst für die stilisierte Darstellung eines Leopardenfells über einem abstrakten Muster-Fries. Doch auf den zweiten Blick erschien ihm eine andere Deutung zutreffender: Er sah in dem rechteckigen Muster eine Karte, die die Anordnung der Gebäude in Çatalhöyük zeigt. Die beiden Kegel aber interpretierte er als Abbildung eines ausbrechenden Vulkans. Tatsächlich gibt es rund 130 Kilometer nordöstlich der Steinzeitsiedlung einen Vulkan mit zwei durch einen Sattel verbundenen Gipfeln, den mit seinen 3.268 Metern Höhe weithin sichtbaren Hasan Dagi.
Sollte Mellaarts Deutung als Karte stimmen, wäre die Wandmalerei von Çatalhöyük der älteste Stadtplan der Welt – andere, eindeutig kartografische Darstellungen finden sich erst rund 4.000 Jahre später in Uruk und anderen Städten Mesopotamiens. Die Wandkarte von Çatalhöyük gilt daher heute als einer der frühesten Funde der Kartografie, ist aber nicht unumstritten. Einige Archäologen sehen dies jedoch als Fehlinterpretation und halten Mellaarts ursprüngliche Sichtweise – die eines Leopardenfells – für weitaus wahrscheinlicher. Auch ob die beiden dargestellten Kegel tatsächlich den Vulkan Hasan Dagi darstellen und eine Eruption abbilden, ließ sich bisher nicht belegen.
Axel Schmitt von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen haben nun erstmals genauer überprüft, ob der Hasan Dagi während der Besiedlungszeit von Çatalhöyük aktiv war. Dafür sammelten sie Gesteinsproben vom Gipfel und den Flanken des heute ruhenden Feuerbergs. Sie analysierten Zirkonkristalle in diesen Bimsstein- und Lavaresten und ermittelten über deren Gehalt an Uran und Thorium-Isotopen, wann diese vulkanischen Produkte ausgeschleudert wurden und erkalteten.
Ausbruch bestätigt
Das Ergebnis: Während der Besiedelungszeit von Çatalhöyük brach der Hasan Dagi tatsächlich aus: Rund 6.900 vor Christus spie der Feuerberg in einer sogenannten strombolianischen Eruption Asche, Bimsstein und Rauch, die Eruptionswolke stieg zwar nicht sehr hoch, wäre aber weithin sichtbar gewesen, so die Forscher. „Es ist daher durchaus plausibel, dass die Menschen von Çatalhöyük Zeugen dieses Ausbruchs wurden“, erklären Schmitt und seine Kollegen.
Zudem stimme auch die Art des Ausbruchs gut mit dem auf dem mutmaßlichen Plan Abgebildeten überein. Dort ist beispielsweise dargestellt, dass die Punkte und Linien in der Nähe des höheren der beiden Gipfel beginnen. Und dort fand sich auch ein Großteil der Ablagerungen dieser Eruption. Und auch die Tatsache, dass Bimsstein und Lavabrocken mit ausgeschleudert wurden, passt zum steinzeitlichen Wandbild.
„Das Spektakel einer kataklysmischen Eruption könnte sich damals in das kollektive Gedächtnis der Bewohner von Çatalhöyük eingeprägt haben“, konstatieren die Forscher. Möglicherweise erhielt der Feuerberg dadurch eine spezielle kultische oder religiöse Bedeutung und wurde deshalb auf dem Wandgemälde verewigt. Die neuen Ergebnisse sprechen jedenfalls eher dafür, dass Mellaart mit seiner Interpretation des Bildes als Stadtplan und Landschaftsbild richtig lag. (PLoS ONE, 2014; doi: 10.1371/journal.pone.0084711)
(Public Library of Science, 09.01.2014 – NPO)