Drift auf vier „Autobahnen“: Die großen Eisberge des Südpolarmeeres folgen keineswegs zufälligen Bahnen. Stattdessen folgen die Eisriesen vier klar definierten Routen. Die treibende Kraft der großen Eisberge ist dabei nicht der Wind, sondern die „schräge“ Meeresoberfläche und die Corioliskraft. Beide zusammen lassen die Eisriesen auf gebogener Bahn durch das Polarmeer „rutschen“, wie die Forscher berichten.
Zurzeit schauen Polarforscher aus aller Welt gespannt auf die Antarktische Halbinsel. Denn im Larsen C-Schelfeis klafft ein gewaltiger Riss – und er wird immer länger. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier ein gewaltiger Eisberg abbrechen wird. Er wird fast 6.000 Quadratkilometer groß sein und etwa 1.300 Gigatonnen schwer. Das ist so viel wie sonst antarktischen Eisberge eines Jahres zusammen.
Nur bei kleineren Eisbergen schiebt der Wind
Wohin der Koloss nach seinem Kalben driften wird und was ihn antreibt, haben nun Thomas Rackow vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und seine Kollegen erstmals genauer untersucht. Für ihre Studie speisten sie die Daten von 6.912 antarktischen Eisbergen in ein Meereis-Ozean-Modell ein und simulierten dann, wie und wohin Eisberge verschiedener Größe driften.
Dabei zeigte sich: Wie sich ein Eisberg bewegt, hängt entscheidend von seiner Größe ab. „Eisberge, die nicht länger und breiter als zwei Kilometer sind, treiben innerhalb weniger Monate von der Schelfeiskante weg und aus dem Küstenbereich heraus“, berichtet Rackow. „Der Wind drückt sie auf das offene Meer hinaus, wo sie dann im Laufe von zwei bis drei Jahren in kleinere Stücke zerbrechen und schmelzen.“
Rutschpartie auf der Meeresoberfläche
Bei Kolossen von der Größe des Larsen-C-Bruchstücks spielt der Wind dagegen erstmal kaum eine Rolle. Stattdessen werden diese Eisberge vor allem durch ihr Eigengewicht angetrieben: Der Schwerkraft folgend, „rutschen“ sie von der Südküste des Wedellmeeres in Richtung Norden. Der Grund dafür: Dort liegt der Meeresspiegel bis zu 50 Zentimeter niedriger als an der antarktischen Küste.
„Wenn große Eisberge treiben, dann rutschen sie zunächst die schräge Meeresoberfläche hinunter.“, erklärt Rackow. „Ihre Rutschbahn verläuft dabei jedoch nicht als gerade Linie, sondern schlägt einen Bogen nach links. Der Grund dafür ist die Corioliskraft, welche auf die Erdrotation zurückzuführen ist und die Eisberge letztlich auf eine Bahn parallel zur Küste ablenkt, ähnlich dem Verlauf des Küstenstroms.“
Drift über tausende Kilometer
Die Ablenkung durch die Corioliskraft erklärt auch, warum große Tafeleisberge die ersten drei bis vier Jahre nach ihrem Kalben in Küstennähe bleiben. Sie gelangen erst dann ins offenen Meer, wenn die Meeresströmung von der Küste wegbiegt oder wenn sie mit dem Packeis zusammen vom Wind abgetrieben werden. „Auf diese Weise gelangen dann auch die großen Tafeleisberge in nördlichere Meeresregionen mit wärmerem Wasser“, so Rackow.
Große Eisberge, die einmal den Weg nach Norden eingeschlagen haben, schaffen es häufig sogar, den 60. südlichen Breitengrad zu überqueren. Das heißt, sie legen bis zu ihrem Schmelztod oft tausende Kilometer zurück. Einzelne wurden auch schon vor der Küste Südamerikas oder Neuseelands gesichtet.
Vier Autobahnen nach Norden
Einmal in wärmeren Gefilden, folgen die Tafeleisberge je nach Ursprungsort einem der vier „Autobahnen“ in Richtung Norden. Eine dieser Eisberg-Autobahnen führt an der Ostküste der Antarktischen Halbinsel entlang Richtung Atlantik. Eine zweite Ausfahrt zweigt auf Höhe des nullten Längengrads am Ostrand des Weddellmeeres ab – etwa dort, wo die deutsche Antarktisstation Neumayer III steht. Die dritte Ausfahrt beginnt auf Höhe des Kerguelen-Plateaus in der Ostantarktis und die vierte führt das Eis aus dem Rossmeer Richtung Norden.
Wie weit der künftige Larsen-C-Eisberg treiben wird, hängt davon ab, ob er ganz bleibt oder schnell in kleinere Stücke zerfällt. „Im ersten Fall stehen die Chancen gut, dass er zunächst für etwa ein Jahr entlang der Antarktischen Halbinsel durch das Weddellmeer treibt“, sagt Rackow. Dann dürfte der Eisriese Kurs Richtung Nordosten nehmen und Südgeorgien und die Südlichen Sandwich-Inseln ansteuern.
Die Forscher schätzen, dass der Larsen-C-Koloss acht bis zehn Jahre lang im Ozean treiben wird, bevor er schmilzt und komplett zerfällt. Er wird damit zu den langlebigsten Eisbergen überhaupt gehören. (Journal of Geophysical Research – Oceans, 2017; doi: 10.1002/2016JC012513)
(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 10.04.2017 – NPO)