Forscher haben die 1931 ausgegrabenen menschlichen Skelettreste aus der Vogelherdhöhle auf der Schwäbischen Alb einer neuen Datierung mit Hilfe der Radiokohlenstoffmethode unterzogen. Danach sind sie zwischen 3.900 und 5.000 Jahre alt.
Bisher wurden sie immer im Zusammenhang mit den ebenfalls in der Höhle gefundenen Figuren aus Elfenbein und Werkzeugen aus der Zeit des frühen Aurignacien, der ersten Kulturstufe der jüngeren Altsteinzeit in Europa vor 30.000 bis 40.000 Jahren vor heute, gesehen. Aufgrund der neuen Datierung kann nun nicht mehr mit Sicherheit gesagt werden, wer die „ersten Künstler“ waren, die Neandertaler oder die ersten modernen Menschen in Südwestdeutschland, die in dieser Zeit nach Europa einwanderten.
Die Wissenschaftler der Universität Tübingen, der Universität Kiel und der Loyola University of Chicago berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature.
Reiches „Fundensemble“ der Vogelherdhöhle
Die auf der Schwäbischen Alb in Südwestdeutschland gelegene Vogelherdhöhle ist berühmt für ihr reiches Fundensemble, darunter fast ein Dutzend Figuren aus Mammutelfenbein, die zu den ältesten Zeugnissen figurativer Kunst weltweit gehören. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden die menschlichen Skelettreste aus der Vogelherdhöhle als bester Beweis angesehen, dass anatomisch moderne Menschen die neue Technologie, figürliche Kunst und Musikinstrumente der jüngeren Altsteinzeit vor circa 30 bis 40.000 Jahren herstellten.
Radiokohlenstoff-Messungen an fünf der menschlichen Fossilreste vom Vogelherd ergaben nun, dass die Menschenreste tatsächlich in die späte Jungsteinzeit zwischen 3.900 und 5.000 Jahre vor heute datieren, also viel jünger sind als die restlichen Funde und vermutlich aus späteren Bestattungen stammen. 26 weitere C14-Datierungen an Tierknochen haben hingegen wie erwartet ein eiszeitliches Alter ergeben. Die neuen Daten der Menschenknochen vom Vogelherd schwächen auch die Argumente für die „Donau-Korridor-Hypothese“, die besagt, dass anatomisch moderne Menschen relativ früh über die Donau in unseren Raum einwanderten. Sie unterstützen hingegen die Möglichkeit, dass die Neandertaler wesentlich zur Entwicklung der jungpaläolithischen Kultur beigetragen haben.
Ausgrabungen im Jahre 1931
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Im Sommer und Herbst 1931 wurde die Vogelherd-Höhle unter der Leitung des Tübinger Archäologen Gustav Riek ausgegraben. Die veröffentlichten Informationen sprachen für eine unzweifelhafte Vergesellschaftung der menschlichen Skelettreste und der klassischen Stein-, Knochen- und Elfenbeinwerkzeuge des Aurignaciens. Lange Zeit haben die Forscher deshalb geglaubt, dass auch die Menschenreste aus der Vogelherdhöhle aus dieser Epoche stammen.
Seit der Entdeckung von anatomisch modernen Menschenresten mit Aurignacienwerkzeugen im Felsschutzdach von Cro-Magnon im Jahr 1868, galt das Aurignacien, wie diese Kulturstufe später benannt wurde, als Werk des modernen Menschen. Forscher haben die Cro-Magnon Menschenreste aus Südwestfrankreich immer als sicheren Beleg für diese These betrachtet, bis jüngste Radiokohlenstoffmessungen an dieser Menschenform ebenfalls ein jüngeres Alter ergaben als erwartet.
Kein Zusammenhang zwischen frühen Aurignacienfunde mit anatomisch modernen Menschen
Mit den neuen Daten vom Vogelherd existieren nun keine menschlichen Fossilreste mehr, die einen zweifelsfreien Zusammenhang früher Aurignacienfunde mit anatomisch modernen Menschen belegen. Die wenigen vorhanden Menschenreste von anderen Fundstellen weisen entweder keine Skelettmerkmale zur eindeutigen Artbestimmung auf oder stammen aus unsicherem Fundkontext. Die kulturelle Entwicklung am Beginn der jüngeren Altsteinzeit wird von vielen Wissenschaftlern als Hinweis auf eine revolutionäre Veränderung der geistigen Fähigkeiten verstanden, in der vollentwickeltes symbolisches und damit modernes Verhalten zur Entfaltung kam. Zu diesem Zeitpunkt haben jedoch sowohl Neandertaler als auch moderne Menschen in Europa gelebt.
Wer sind die Träger der frühen Aurignacien-Kultur?
Das junge Alter der menschlichen Skelettreste vom Vogelherd wirft die Frage nach den Trägern der frühen Aurignacien-Kultur erneut auf. Im Moment kann die Hypothese, dass Neandertaler die frühen Aurignacienfunde hergestellt haben, nicht widerlegt werden. Zudem kann die „Donaukorridor-Hypothese“ für eine frühe Kolonisierung Zentraleuropas durch den modernen Menschen – obwohl immer noch plausibel – nicht mehr anhand einer Verbindung von modernen Menschen und frühem Aurignacien belegt werden. Mit den neuen Daten vom Vogelherd ist somit eine der meist verbreiteten Annahmen der Paläoanthropologie, nämlich dass die kulturellen Innovationen des Aurignacien ausschließlich mit modernen Menschen zu verknüpfen sind, fraglicher als je zuvor.
In Verbindung mit der Publikation der Daten vom Vogelherd findet vom 7. bis 10 Juli 2004 in Blaubeuren und Tübingen ein internationaler Workshop unter dem Titel „Neanderthals and Modern Humans Meet?“ statt. Bei diesem Workshop werden die neuesten Daten zum Aussterben der Neanderthaler und zur Ankunft des Modernen Menschen in Europa vor circa 40.000 Jahren diskutiert.
(idw – Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 08.07.2004 – DLO)