Vom Wasser durchlöchert: Die Küstengletscher Grönlands könnten noch fragiler sein als gedacht. Denn die Schmelzwasserseen auf ihrer Oberfläche entleeren sich erstaunlich schnell und leicht, wie nun eine Studie enthüllt. Mithilfe von Drohnen und Sensoren hatten Forscher dabei mitverfolgt, wie ein solcher See ausläuft. In nur fünf Stunden stürzten dabei knapp fünf Millionen Kubikmeter Wasser bis an die Gletscherbasis. Als Auslöser reichten schon der Wasserdruck und ein Riss im Eis.
Jeden Sommer bilden sich tausende von Schmelzwassertümpeln auf dem grönländischen Eisschild. Normalerweise kann der Gletscherfirn einen großen Teil dieses Wassers aufnehmen und speichern. Doch bereits 2016 deutete eine Studie darauf hin, dass diese Speicherkapazität bei den Grönlandgletschern rapide abnimmt. Als Folge strömt das Schmelzwasser an der Eisoberfläche ungehindert in Richtung Meer oder entleert sich in subglaziale Seen und Kanäle an der Gletscherbasis. Diese destabilisieren den Gletscher zusätzlich.
Drohnen auf Eispatrouille
Doch welchen Einfluss der rapide Transfer von Schmelzwasser von der Eisoberfläche an die Eisbasis konkret hat, ist bislang erst in Teilen geklärt. Denn bisher konnte das Auslaufen von Schmelzwasserseen nur sehr selten direkt beobachtet werden – und noch nie bei einem der schnellfließenden, ins Meer mündenden Gletscher Grönlands. Gerade diese Gletscher reagieren jedoch besonders sensibel auf den Klimawandel und gelten daher als prägend für den weiteren Verlauf der grönländischen Eisschmelze.
Jetzt ist es Forschern um Thomas Chudley von der University of Cambridge erstmals gelungen, einen Schmelzwassersee quasi „auf frischer Tat“ zu ertappen. Für ihre Studie hatten sie halbautonome Drohnen eingesetzt, um eine Reihe von Schmelzwassertümpeln auf dem schnellfließenden Store-Gletscher in Westgrönland zu überwachen. Ergänzend dazu setzten sie ins Eis implantierte Seismometer, Drucksensoren sowie Satellitenaufnahmen ein, um auch die Geschehnisse unter der Eisoberfläche verfolgen zu können.
Wasserfall in die Tiefe
Am 7. Juli 2018 passierte es: Unvermittelt begann sich ein 1,25 Quadratkilometer großer Schmelzwassersee auf dem Store-Gletscher zu entleeren. Auf dem Höhepunkt des Auslaufens stürzten dabei 924 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Tiefe. Innerhalb von nur fünf Stunden schrumpfte der See dadurch auf nur noch ein Drittel seiner Größe und verlor knapp fünf Millionen Kubikmeter Wasser – genug für 2.000 olympische Schwimmbecken.
Dieses Ereignis hatte auch Folgen für den Gletscher, wie die Sensoraufzeichnungen enthüllten: Während dieses Auslaufens hob sich die Eisoberfläche um gut einen halben Meter, gleichzeitig erhöhte sich die Fließgeschwindigkeit der Gletscheroberfläche von rund zwei Metern pro Tag auf 5,30 Meter pro Tag. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass selbst Teilentleerungen wie diese die Dynamik des Gletschers stärker beeinflussen können als bislang angenommen.
Ausmaß und Effekte unterschätzt
Ein weiteres Ergebnis: Bisher dachte man, dass Schmelzwasserseen, die nur einen Teil ihres Wassers verlieren, dies langsam tun – durch allmähliches Auslaufen über kleinere Risse. Doch die aktuellen Beobachtungen widerlegen dies, wie Dudley und sein Team betonen. Angesichts der Wassermassen handelte es sich eindeutig um ein schnelles, massives Entleeren. Hätte man diesen See jedoch nur über Satellitenbilder überwacht, wäre dies nicht erkannt worden.
„Es ist daher wahrscheinlich, dass die gängigen Fernerkundungs-Routinen die Menge der schnell auslaufenden Seen auf den Gletschern stark unterschätzen“, sagen die Forscher. Das wiederum bedeute, dass auch die gesamte Dynamik und Hydrologie des grönländischen Eisschilds möglicherweise falsch eingeschätzt wurde.
Kettenreaktion im Eis
Und noch etwas enthüllten die Beobachtungen: Entgegen bisherigen Modellen war für die Entleerung keine vorhergehende Beschleunigung des Eisstroms nötig. Stattdessen reichte das Anwachsen des Sees aus, um durch subglaziale Spannungen einen bestehenden Riss im Eis zu reaktivieren. Dadurch wuchs der Riss zu einer Spalte an, die von der Oberfläche bis zum Gletscherbett reichte und eröffnete dem Wasser so seinen Weg.
„Dies bedeutet, dass die hier beobachtete Art der Entleerung auch dazu beitragen könnte, Kettenreaktionen des Schmelzwasser-Transfers ins Gletscherbett auszulösen“, konstatieren Dudley und sein Team. Dabei erzeugen die von einem Schmelzwassersee verursachten Spannungen neue Risse im Eis, die sich dann bis zu benachbarten Seen fortsetzen können. Solche Kettenreaktionen hatte das Forscherteam schon Anfang 2018 postuliert. Die aktuellen Beobachtungen untermauern dies nun. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1913685116)
Quelle: University of Cambridge