Geowissen

Wer schuf diese Mikrogänge?

Merkwürdig parallele Bohrgänge in Marmor und Kalkstein geben Geologen Rätsel auf

Mikrotunnel in Marmor
Diese Marmorprobe aus Namibia zeigt ein ganzes Band winziger Bohrgänge oder Tunnel, deren Ursprung rätselhaft ist. © Cees Passchier

Mysteriöse Marmorfresser: Im Marmor und Kalkstein mehrerer Wüstengebiete haben Geologen ganze Galerien winziger, paralleler Tunnel entdeckt. Diese Mikrostrukturen sind nur rund einen halben Millimeter dick, bilden aber meterlange Bänder im Gestein. Analysen legen nahe, dass sie von Lebewesen geschaffen wurden – aber welchen? Ihre Form und Anordnung passt zu keinem bekannten endolithischen Organismus, wie die Forschenden berichten. Sie hoffen nun, dass weitere Funde das Rätsel lösen können.

Auch wenn das Gestein des Untergrunds oder Felsen in kargen Wüstengebieten uns lebensfeindlich und unwirtlich vorkommen: Es gibt Lebewesen, die buchstäbliche Steinfresser sind – diese endolithischen Organismen beziehen ihre Energie und Nährstoffe aus dem Abbau von Mineralen. Bekannte Beispiele sind Mikroben der Tiefen Biosphäre, die Gesteinsporen bis in mehrere Kilometer Tiefe besiedeln. In der Atacamawüste haben Forschende zudem ganze Lebensgemeinschaften aus Flechten, Algen und Pilzen entdeckt, die nur vom Material des Wüstenkieses, Wasserdampf und Sonnenlicht zehren.

Mikrogänge
Ausgehend von einer mit weißem Calciumcarbonat gefüllten Spalte sind hier die Mikrotunnel parallel nach unten gewachsen. © Cees Passchier

Mysteriöse Mikrogänge in Marmor und Kalkstein

Doch jetzt haben Geologen ein endolithisches Phänomen entdeckt, für das sie keine Erklärung haben. In den Wüsten von Namibia, Omans und Saudi-Arabiens stieß das Team um Cees Passchier von der Universität Mainz auf merkwürdige Strukturen: In Marmor- und Kalksteinformationen zeigen sich lange schmale Bänder, die von unzähligen winzigen Röhrchen durchsetzt sind. Diese Mikrotunnel sind etwa einen halben Millimeter breit und bis zu drei Zentimeter lang und leer oder mit weißlichem Krustenkalk gefüllt.

Merkwürdig dabei: „Alle Mikro-Bohrgänge sind strikt parallel, sie kreuzen und verzweigen sich nie“, berichten die Geologen. Gleichzeitig liegen alle Gänge aber dicht nebeneinander und bilden Bänder von bis zu zehn Meter Länge in den Gesteinsformationen. Typischerweise beginnen alle Mikrotunnel eines solchen Bandes nicht an der Erdoberfläche, sondern in tieferen Schichten. Ihre geraden, alle in einer Linie stehenden Oberkanten legen nahe, dass sie in Gesteinspalten und Rissen ihren Anfang nahmen.

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Auffällig auch: Betrachtet man die durchbohrten Gesteinsschichten von oben, sind die runden Löcher auffallend gleichmäßig verteilt. „Es gibt keinerlei Muster außer der völlig regelmäßigen Anordnung“, schreibt das Team.

MIkrogänge von oben
Von oben betrachtet sind die Eingänge der Mikrotunnel bemerkenswert regelmäßig verteilt. © Cees Passchier

Keine geologische Ursache

Doch was steckt dahinter? „Unseres Wissens nach sind solche Mikro-Bohrgänge noch nie zuvor beschrieben worden“, konstatieren Passchier und seine Kollegen. „Kein abiogener Mechanismus kann die Entstehung dieser Strukturen erklären.“ Um mehr über die Ursache der rätselhaften Strukturen zu erfahren, untersuchten sie die Gänge mittels Mikroskopie, analysierten die chemische und mineralogische Zusammensetzung von Randschichten und Inhalt und führten Isotopenanalysen durch.

Die Analysen enthüllten: Die Calcit-Füllung im Inneren der Mikrogänge ist gegenüber dem umgebenden Gestein verarmt. „Insbesondere Strontium, Mangan, Eisen und einige Seltenerd-Elemente kommen darin weniger häufig vor“, berichtet das Team. Dafür ist die Randschicht der Mikrotunnel aber mit Phosphor und Schwefel angereichert, zudem zeigen sich Wachstumsring-ähnliche Strukturen in der Tunnelfüllung.

Endolithische Mikroben als Urheber?

„Nach unserer Einschätzung muss es ein Mikroorganismus gewesen sein, der diese Röhrchen gebildet hat“, sagt Passchier. „Ob es sich dabei um eine Lebensform handelt, die ausgestorben ist oder die noch irgendwo lebt, wissen wir derzeit allerdings nicht.“ Denn die Mikrotunnel in den Marmor- und Kalksteinformationen sind nach Schätzungen der Geologen schon ein bis zwei Millionen Jahre alt. „Wir nehmen an, dass diese Strukturen in einem etwas feuchteren Klima gebildet wurden und nicht in dem trockenen Wüstenklima, wie es heute vorherrscht“, erklärt Passchier.

Doch wer war das Lebewesen, das diese winzigen, verblüffend parallelen Gänge bohrte? „Das Spannende an unserer Entdeckung ist, dass wir nicht wissen, um welchen endolithischen Mikroorganismus es sich hier handelt“, sagt Passchier. Er und sein Team vermuten, dass es sich um ein Lebewesen handeln muss, das ohne Licht auskommt, seine Nährstoffe aus den Bestandteilen des Carbonatgesteins gewinnt und möglicherweise als Kolonie agiert – das würde die Wachstumsringe der Tunnelfüllung erklären.

Merkmale der Mikrogänge
Merkmale und Struktur der Mikrotunnel von der Seite und im Querschnitt. © Passchier et al./ Geomicrobiology Journal, CC-by 4.0

Spuren passen zu keinem bekannten Organismus

Das Problem nur: Die Bohrgänge passen zu keiner bekannten endolithischen Lebensform. Für Pilzhyphen sind die Tunnel zu gerade, regelmäßig und unverzweigt, für Stromatolithen und andere auf Gesteinsoberflächen wachsenden Biomatten zu tief im Untergrund. „Bakterien wurden zwar schon aus tiefen Gesteinsschichten isoliert, wo sie sich von anorganischem und organischem gelösten Material ernähren, das durch kleine Spalten und Risse zirkuliert“, schreiben die Geologen. Aber von solchen gesteinslebenden Bakterien seien keine Bohraktivitäten bekannt.

Hinzu kommt, dass die Forschenden zwar mögliche Relikte biologischen Materials in den Mikrotunneln gefunden haben. Aber es waren keine DNA oder Proteine erhalten, die die Identität der Tunnelbauer verraten könnten.

Das Rätsel bleibt

„Im Moment können wir nur darüber spekulieren, welche Organismen für die Bildung dieser Mikrogang-Bänder verantwortlich sind“, konstatieren Passchier und seine Kollegen. Mit ihrer Beschreibung dieses rätselhaften Phänomens wollen sie auch andere Wissenschaftler dazu bringen, sich des Rätsels anzunehmen. Dies könnte dabei helfen, auch in anderen Regionen und Gesteinsformationen nach solchen Mikrotunneln zu suchen.

Besonders hilfreich könnte es sein, wenn sich Spezialisten für Endolithen mit dem Phänomen befassen. „Diese Lebensform, von der wir nicht wissen, ob sie noch existiert, könnte für den globalen Kohlenstoffkreislauf von Bedeutung sein. Daher ist es wichtig, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft darauf aufmerksam wird“, sagt Passchier. (Geomicrobiology Journal, 2025; doi: 10.1080/01490451.2025.2467417)

Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Geomicrobiology Journal

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