Klima

Westantarktis: Trend bis 2045 schon jetzt unveränderlich

Selbst mit Klimaschutz ist ein Teil der Gletscher und Schelfeise irreversibel verloren

Antarktis
Die Westantarktis ist besonders stark von Klimawandel und Eisverlust betroffen. Können wir noch gegensteuern? © Ianm35/ Getty images

Nicht zu stoppen: Schon jetzt ist ein Teil der westantarktischen Eisschmelze unumkehrbar, wie neue Simulationen nahelegen. Demnach ist das beschleunigte Abtauen von Gletschern und Schelfeisen in der Amundsensee bis 2045 selbst durch Klimaschutz nicht mehr zu bremsen oder zu stoppen – mit Folgen für den weltweiten Meeresspiegel. Unser heutiges Handeln könnte aber noch verhindern, dass es ab 2045 noch schlimmer kommt, wie Forschende in „Nature Climate Change“ berichten.

Die Westantarktis ist der am stärksten vom Klimawandel betroffene Teil der Antarktis. Vor allem das Schelfeis der Amundsensee und die dort einmündenden großen Gletscher verlieren rapide an Eis. Ursache ist neben der wärmeren Luft vor allem das warme Tiefenwasser, das über tiefe Schluchten am Meeresgrund bis weit unter die Gletscherzungen vordringen kann. Als Folge wird die Eisunterseite ausgehöhlt und abgetaut. Verschwindet aber das Schelfeis, verlieren auch die einmündenden Gletscher den Halt.

Amundsensee
In der westantarktischen Amundsensee münden sechs besonders große Gletscher, darunter der Thwaites-Gletscher. © NOAA/ climate.gov

Schon länger befürchten Glaziologen daher, dass das Abschmelzen in diesem Teil der Westantarktis schon unumkehrbar sein könnte. Das allerdings hätte Folgen: Allein die Schelfeise und Gletscher im Bereich der Amundsensee könnten den Meeresspiegel bei ihrem Abtauen um ein bis zwei Meter ansteigen lassen. Führt dies zu einer Destabilisierung des gesamten westantarktischen Eisschilds, läge der Anstieg sogar bei rund fünf Metern. Entsprechend wichtig ist es, diese Region und ihre Reaktion auf den Klimawandel möglichst genau zu untersuchen.

Zeitreise für die Amundsensee

Doch wie akut ist die Gefahr? Um das zu ermitteln, haben Kaitlin Naughten vom British Antarctic Survey und ihre Kollegen die Veränderungen in der Amundsensee mithilfe von Beobachtungsdaten und einem hochaufgelösten Ozeanmodell untersucht. Sie simulierten die Entwicklung der Wassertemperaturen, Schelfeise und Abtauraten für die letzten rund hundert Jahre und für vier verschiedenen Zukunftsszenarien: eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 oder zwei Grad, ein mittelprächtiger Klimaschutz gemäß dem IPCC-Szenario RCP 4,5 und eine ungebremste Erwärmung gemäß Szenario RCP 8,5.

Das Ergebnis: Bis 2045 macht es für das Eis der Amundsensee schon keinen Unterschied mehr, welchem Klimaszenario die Zukunft folgt. „Selbst unter dem ehrgeizigsten Klimaschutz-Szenario, dem 1,5-Grad-Zeil von Paris, erwärmt sich die Amundsensee dreimal schneller als im 20. Jahrhundert“, berichten Naughten und ihr Team. In ihren Simulationen waren alle vier Szenarien in Bezug auf Erwärmung und Eisverlust ununterscheidbar. Erst ab 2045 löst sich die Kurve für den ungebremsten Klimawandel vom Rest.

Eisverlust bis 2045 ist schon jetzt unveränderlich

Was aber bedeutet das konkret? „Es sieht so aus, als hätten wir die Kontrolle über das Abschmelzen des westantarktischen Eisschilds schon verloren“, sagt Naughten. „Wenn wir den heutigen Zustand erhalten wollten, hätten wir schon vor Jahrzehnten mit dem Klimaschutz anfangen müssen.“ Weil Ozean und Eismassen nur sehr träge und mit großer Verzögerung auf Klimaveränderungen reagieren, ist die Entwicklung der Westantarktis bis Mitte des Jahrhunderts festgeschrieben. Selbst ein sofortiges, drastisches Handeln würde jetzt nicht mehr ausreichen, um die bereits ausgelöste Entwicklung noch zu stoppen.

AMundsensee
Entwicklung der Wassertemperatur und des Abschmelzens der Eisunterseite in der Amundsensee im Zwei-Grad-Szenario. © Naughten et al./ Nature Climate Change, CC-by 4.0

„Unsere Simulationen präsentieren ernüchternde Aussichten für die Amundsensee“, konstatieren die Forschenden. So treffen die Wassererwärmung und das beschleunigte Abtauen dort auch die Schelfeisgebiete, die als Barrieren für die großen Gletscher der Westantarktis besonders wichtig sind. Als Folge können Gletschergiganten wie Pine, Thwaites und Co schneller ins Meer rutschen und entsprechend mehr Eis verlieren. „Ein dadurch bedingter Anstieg des Meeresspiegels ist schon jetzt nicht mehr zu verhindern“, so das Team.

Ähnlich sieht es auch der nicht an der Studie beteiligte Forscher Tiago Segabinazzi Dotto vom National Oceanography Centre in Southampton: „Diese Studie passt zu den Belegen, nach denen ein Kollaps der Schelfeise in der Amundsensee bevorsteht. Doch das Tempo dieses Kollapses ist noch unsicher – es kann innerhalb von Jahrzehnten oder Jahrhunderten geschehen.“

Warmes Tiefenwasser als Hauptursache

Als Hauptursache für die beschleunigte Eisschmelze in der Amundsensee identifizieren die Forschenden eine Verschiebung der Thermokline, der Trennschicht zwischen warmem Tiefenwasser und kalten Oberflächenwasser. Weil sich die Meeresströmungen in diesem Teil der Westantarktis mit dem Klimawandel verändern, strömt zunehmend warmes Tiefenwasser ist diese Meeresregion. Schon heute liegt dadurch die Thermokline immer häufiger so weit oben, dass die Unterseite der Gletscherzungen von warmem Wasser umspült und ausgehöhlt wird.

„In den drei Szenarien mit Klimaschutz bleiben die Peaks der Schwankung im typischen Tiefenbereich der Eisaushöhlungen“, berichtet das Team. Dadurch strömt Kaltwasser zwar immer seltener unter die Eisflächen, aber es bleiben auch nach 2045 kalte Perioden erhalten. Anders ist dies im Szenario RCP 8.5: Bei ungebremstem Klimawandel verlagert sich die Thermokline ab Mitte des Jahrhunderts so weit nach oben, dass dann die Eisunterseiten dauerhaft in warmem Wasser baden – und entsprechend schneller abtauen.

Heutiges Handeln bestimmt Entwicklung ab 2045

Für die Zeit nach 2045 macht es demnach sehr wohl einen Unterschied, ob wir es jetzt schaffen, die globale Erwärmung zu begrenzen oder nicht. Denn ab dieser Zeit entwickeln sich die Trends in den Prognosen deutlich auseinander: RCP 8,5 eskaliert weiter, die restlichen flachen sich ab. „Die einzige Kontrolle, die Klimaschutz jetzt noch bieten kann, ist das Verhindern des Worst-Case-Szenarios RCP 8.5“, schreiben Naughten und ihre Kollegen.

Für die Westantarktis könnte das bedeuten: Unser heutiges Handeln kann zwar die Folgen der Eisschmelze für uns und die nächstfolgenden Generationen nicht mehr beeinflussen. Es könnte aber die schlimmsten Folgen für die Zeit danach und das Schicksal unserer Nachfahren im 22. Jahrhundert bestimmen. Unter anderem entscheidet sich jetzt, ob der westantarktische Eisschild komplett abschmilzt oder nur zum Teil – und ob demnach der Meeresspiegel um fünf oder nur um ein bis zwei Meter ansteigt.

„Unsere Studie unterminiert damit aber keineswegs die Bedeutung des Klimaschutzes“, betonen Naughten und ihr Team. Denn noch bestehe die Chance, die schlimmste Folgen aufzuhalten – vor allem für andere, noch weniger stark betroffene Teile der Westantarktis. (Nature Climate Change, 2023; doi: 10.1038/s41558-023-01818-x)

Quelle: British Antarctic Survey

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