Genetik

Wikinger: Blonde „Nordmänner“ sind ein Mythos

DNA-Analysen enthüllen vielfältige und gemischte Herkunft der Wikinger

Wikinger
Wer waren die Wikinger wirklich? Eine erste umfassende DNA-Vergleichsstudie gibt nun Aufschluss. © MR1805/ iStock.com

Überraschend anders: Die meisten Wikinger waren keine blonden „Nordmänner“, sondern ähnlich gemischter Abstammung wie andere Menschen ihrer Zeit. Unter ihren Vorfahren waren Steppenkrieger, anatolische Bauern und auch baltische und mitteleuropäische Ahnen, wie Genanalysen von 442 Wikingern aus verschiedensten Teilen Europas enthüllen. Und auch innerhalb der Wikingerpopulation gab es deutliche Unterschiede.

Die Wikinger haben die Geschichte Europas entscheidend geprägt. Vor rund tausend Jahren waren sie nicht nur als räuberische Krieger gefürchtet, ihr Netz von Siedlungen, Handelszentren und Handelsrouten erstreckte sich auch über ganz Europa und bis nach Grönland und Nordamerika. Entsprechend weitreichend war ihr Einfluss: „Die Wikinger exportierten Ideen, Technologien, Sprache, Religion und Alltagspraktiken in diese Regionen“, erklären Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen und seine Kollegen.

Wikingergrab
Eine tote Wikingerkriegerin in einem Grab im schwedischen Varnhem © Västergötlands Museum

Spurensuche im Erbgut von 442 toten Wikingern

Doch wer waren die Wikinger wirklich? Dem Klischee nach waren die „Nordmänner“ allesamt blonde Hünen skandinavischer Abstammung. Doch in den letzten Jahren haben einige archäologische Funde Zweifel an dieser Annahme geweckt: In Dänemark wurde ein Wikingergrab gefunden, in dem eine Kriegerin slawischer Abstammung lag. Und einige Wikinger trugen sogar arabische Schriftzeichen auf ihrer Begräbniskleidung.

Um die genetische Basis der Wikingerkultur zu entschlüsseln, haben nun Willerslev und sein Team das Erbgut von 442 Männern, Frauen und Kindern aus europäischen Wikingergräbern analysiert. Die geografische Verteilung der Gräber reicht von Russland und der Ukraine über Mittel- und Nordeuropa bis nach Grönland. Zusätzlich zogen die Forscher Vergleichsproben aus verschiedenen europäischen Populationen von der Bronzezeit bis heute hinzu.

Braun statt blond

Das überraschende Ergebnis: Die Wikinger waren keineswegs alle Skandinavier. Stattdessen war ihre Herkunft ähnlich gemischt wie die der meisten Menschen zu dieser Zeit. In ihrem Erbgut identifizierten die Wissenschaftler neben skandinavischen Anteilen auch Gene von nahöstlichen Bauern, Vorfahren aus dem Baltikum und Mitteleuropa sowie von bronzezeitlichen Steppenreitern aus Zentralasien.

„Damit verändert unsere Studie das Bild der Wikinger deutlich“, sagt Willerslev. „Die meisten von ihnen waren nicht blond, sondern hatten braune Haare und waren von genetischen Einflüssen geprägt, die von außerhalb Skandinaviens stammten.“ Einige Wikingergruppen unterschieden sich sogar deutlich von den typischen „Nordmännern“. So waren einige in Südschweden begrabene Wikinger am engsten mit Langobarden aus Ungarn verwandt, einige Wikinger aus Nordnorwegen stammten von den Samen ab.

Mehr Kultur als Volksstamm

Dass die Wikinger weniger ein homogener Volksstamm als vielmehr eine Kultur von Menschen vielfältiger Abstammung waren, bestätigen auch die Genome zweier auf den Orkney-Inseln und in Norwegen gestorbener Wikinger. Obwohl sie nach typischer Wikingertradition begraben wurden, waren sie keine Skandinavier, sondern gehörten zu den Pikten, einem keltischen Stamm, der im Gebiet des heutigen Schottland lebte. Zwei weitere Wikinger waren halb piktisch und halb skandinavisch, wie die Forscher berichten.

Wikinger
Nicht nur blond: Viele Wikinger hatten braunes Haar und waren vielleicht sogar eher brünett.© Jim Lyngvild

„Unsere Ergebnisse widersprechen den gängigen Annahmen darüber, wer die Wikinger waren – man wird die Geschichtsbücher entsprechend ändern müssen“, sagt Willerslev. „Denn unseren Daten zufolge war die Wikinger-Identität nicht auf Individuen mit skandinavischen Vorfahren beschränkt.“ Stattdessen spiegelt auch der Genpool dieser Kultur ihre enorme Ausdehnung über ganz Europa wider.

Vom Meer geprägt

Die Gendaten bestätigen auch, welch wichtige Rolle das Meer für die Wikinger spielte. Denn es diente ihnen nicht nur als Lieferant für Rohstoffe und als Transportweg für Handelswaren oder Raubgut, sondern förderte auch den kulturellen und genetischen Austausch. So belegt das Erbgut von Wikingern aus skandinavischen Küstengebieten, dass sie oft genetisch enger mit den Bewohnern des Baltikums und der mitteleuropäischen Küsten verwandt waren als mit Wikingergruppen im Landesinneren Skandinaviens. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2688-8)

Quelle: University of Cambridge

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